Zum Streit um die Gesundheitsreform in den USA

Freiheit oder Zwang

Der Streit um die Gesundheitsreform in den USA wird schärfer: Die Republikanerin Sarah Palin wirft Präsident Barack Obama jetzt gar vor, die geplante Reform führe zur Euthanasie. "Es geht um das Grundprinzip der amerikanischen Demokratie geht, nämlich um Freiheit oder Zwang", sagt USA-Korrespondent Ferdinand Oertel im domradio-Interview.

 (DR)

domradio: Ein Vorschlag der Demokraten ist, dass sie älteren Bürgern eine freiwillige Beratung über die Möglichkeiten am Ende des Lebens wie beispielsweise Hospize finanzieren. Warum entzündet sich an diesem Vorschlag aktuell die Debatte in den USA?
Oertel: Sie entzündet sich nicht nur an diesem Vorschlag. Mit Hospizen sind diejenigen gemeint, die in einigen Staaten aktive Sterbehilfe leisten. Und das ist natürlich gegen die auch moralische Ansicht vieler Abgeordneter und Amerikaner. Insgesamt erscheint mir die ganze Aufregung im Augenblick ein bisschen wie eine aufgeputschte Sommerloch-Diskussion. Denn wenn die Abgeordneten Anfang September zurückkommen, werden sie als Erstes die Gesundheitsreform angreifen. Und in diesem Sommerloch gehen die Diskussionen darum, dass man so viele Angeordnete wie möglich für seine Vorstellungen "programmiert". Grundsätzlich: Die Aufregung ist deshalb auch so groß, weil es eigentlich um das Grundprinzip der amerikanischen Demokratie geht, nämlich um Freiheit oder Zwang. Oder anders gesagt Privatwirtschaft oder Staatsversorgung und -lenkung. Deshalb auch diese Vergleiche etwa mit den Nationalsozialisten.

domradio: Schätzungsweise 48 Millionen Amerikaner sind nicht krankenversichert. Diese Tatsache will Obama ändern. Inwiefern scheiden sich auch daran die Geister?
Oertel: Es sind viel mehr als 48 Millionen. Hinzugekommen sind seit der Wirtschaftskrise all diejenigen, die ihre Arbeit verloren haben. Prinzipiell beruht die amerikanische Politik darauf, dass man privat so viel Freiheit hat, um für sich selbst sorgen zu können. Die versicherten Amerikaner sind ja vorwiegend privat versichert. Und Obama hatte ja als Wahlziel angegeben, eine "Versicherung für alle" zu wollen. Davon ist er inzwischen schon abgekommen. Das Gesetz soll jetzt nur denjenigen eine Versicherung anbieten, die nicht privat versichert sind. Hinter dem Aufrechterhalten der Privatversicherung, das muss man auch wissen, steht eine sehr lobbyhafte Pharmaindustrie, die nicht nur um ihre Verdienste, sondern auch um Millionen von Arbeitsplätzen bangt. Wenn der Staat einmal alle versorgt. Im Übrigen gibt es keinen Gesetzentwurf von Obama selbst. Was jetzt diskutiert wird, sind verschiedene Gesetzesvorschläge, die nicht nur bei den Republikanern, sondern auch innerhalb der demokratischen Partei zum Teil auch unterschiedlich sind.

domradio: Es sind etliche Lobby-Gruppen, die Ihre Interessen bei einer Gesundheitsreform durchdrücken möchten. Auch die katholische Kirche hat ihre Vorstellungen. Welchen Einfluss hat sie in den USA unter einer Obama-Regierung?
Oertel: Von Einfluss würde ich nicht sprechen. Ich würde eher sagen: Welche Position nimmt sie ein. Dazu muss man wissen, dass im Hintergrund dieser Gesundheitsreform auch die Frage steht, was alles damit finanziert werden soll. Und da geht es auch darum, was in Zukunft staatliche Finanzierungen für Abtreibungen etwa geleistet werden. Oder auch zur Verhinderung von Abtreibungen etwa, das trifft die Katholische Kirche dann direkt, Verhütungsmittel staatlich finanziert werden. Grundsätzlich haben die Bischöfe sich von Anfang an für eine Reform des Gesundheitswesens ausgesprochen, die alle absichert. Als unbedingte Voraussetzung aber fordern sie, dass Abtreibungen und auch Hospizeinweisungen nicht aufgenommen werden. Der Slogan ist: Die Gesundheitsreform muss abtreibungsneutral bleiben.