Der Kölner Weihbischof Koch zu den neuen Fußballzeiten im TV

"Mensch, lebe bewusst Deine Zeit"

Heiner Koch ist bekennender Fußball-Fan. Seit seiner Kindheit drückt der Kölner Weihbischof Fortuna Düsseldorf die Daumen, geht ins Stadion und schaut sich Übertragungen im Fernsehen an. Vom neuen Spielplan - Anpfiffe von Freitagabend bis Sonntagabend - hält er allerdings wenig. Im domradio-Interview appelliert er an die Verantwortung des Einzelnen, bewusst seine Zeit zu verbringen. "Unreflektiertes Zeit totschlagen - das ist das Problem, nicht der Fußball."

Der Kölner Weihbischof Dr. Heiner Koch (KNA)
Der Kölner Weihbischof Dr. Heiner Koch / ( KNA )

domradio: Ein Argument der Befürworter: Menschen, die am Wochenende arbeiten müssen, können sich jetzt am Abend die Spiele anschauen...
Koch: Das ist richtig. Und ich denke, wenn jeder Einzelne, der sich diese Spiele anschaut, wie generell beim Fernsehgebrauch sagt "Ich möchte bewusst diese Sendung, dieses Spiel sehen" dann ist das gut. Dahinter steht ja nicht die Frage, dass ich oder jemand anders etwas gegen Fußball hätte. Ich gehe selber auch ins Stadion. Sondern schlicht und ergreifend lautet die Frage: Wie gestalte ich meine Zeit? Wenn Menschen sich diese Frage bewusst stellen - "Mit wem gestalte ich meine Zeit? In welcher Verantwortung? Was brauche ich für mich oder andere?" - dann kann das ein sehr sinnvolles Element sein. Wenn es dazu führt, dass ich Freitagabend den Fernseher anschalte, um ihn sonntags auszumachen, mich im Grunde meine ganze Zeit also volllaufen lasse und unreflektiert das Wochenende, die viele freie Zeit, die ich habe, nur noch konsumiere, dann wird es problematisch.

domradio: In diesem Sommer gab es das größte kirchliche Fußballtagesturnier Deutschlands mit dem Namen "Kirche.kickt". Da waren Sie Schirmherr - Sie sind dem Fußball also nicht abgeneigt?!
Koch: Ganz im Gegenteil. Ich schaue auch Fußball, sowohl im Fernsehen als auch live. Ein bisschen spiele ich auch. Aber, wie gesagt, es geht mir gar nicht um den Fußball, es geht mir um die Frage der Zeiteinteilung, der Zeit, die ich nutze. Noch nie hatten die Menschen so viel freie Zeit wie heute. Freie Zeit heißt aber zur gleichen Zeit: Zeit, die ich gestalten muss, die verantworten und prägen muss. Und meine Sorge ist, dass die Menschen immer mehr vor dieser Aufgabe kapitulieren, ihre Zeit verantwortlich zu gestalten - kommunikativ, engagiert, mit Bildung, für sich selber.

domradio: Hat es auch damit zu tun, dass es sich um den Sonntag dreht?
Koch: Dieser Tag, der zunächst einmal für Gott reserviert sein sollte, wo Gott ein Stückchen Zeit geschenkt werden sollte - auf diesen Gedanken kommen ja schon viele gar nicht mehr. Und genau das ist das Problem: diese Gedankenlosigkeit. Weshalb gibt es eigentlich den Sonntag? Warum ist der eigentlich entstanden? Aber dahinter steckt eben auch die Frage: Was mache ich eigentlich mit der Zeit, die ich habe, auch vor Gott? Ich muss immer daran denken: Dem ersten Kranken, dem ich als junger Kaplan die Krankensakramente gespendet habe, war ein alter Mann, der kurz danach auch starb. Der sagte mir am Sterbebett: "Wissen Sie, so wie ich gelebt habe, wollte ich eigentlich gar nicht leben." Mir ist dieser Satz so in Erinnerung geblieben. Da kommt er am Ende seiner Zeit an und sagt "Das war's gar nicht". Deshalb sage ich immer: Mensch, leb bewusst die Zeit! Es kann doch nicht sein, dass Du am Ende Deines Lebens feststellst: Meine Nachbarschaft habe ich nie besucht - habe ich keine Zeit für gehabt. In der Gemeinde habe ich mich engagiert  - habe ich keine Zeit für gehabt. Um meine Kinder habe ich mich nie gekümmert - habe ich keine Zeit für gehabt. Meine Ehe ist kaputt gegangen, weil ich mir für sie keine Zeit genommen habe. Diese Unreflektiertheit, dieses unbewusste Zeit totschlagen oder sich die Zeit totschlagen lassen - das ist das Problem, nicht der Fußball.

domradio: Wie wird alles weitergehen. Kann es sein, dass sich der Markt bald selber reguliert und die Leute den ganzen Fußball satt sein werden?
Koch: Ich denke, dass genau das eintreten wird. Denn schlicht und ergreifend: Es geht ja um Geld, das Ganze geschieht ja nur aus finanziellen Gründen, aus keinem anderen Grund. Der Fußball wird ja nicht entschieden vom besten Trainer und der besten Mannschaft, sondern vom besten Manager, der am meisten Geld locker macht. Darum geht es ja nur noch. Und natürlich ist die Spannung weg, wenn jeder weiß, wie der andere spielt und wie man sich verhalten muss, damit er genau das Torverhältnis hat. Ich glaube schon, dass es eine Übersättigung geben wird. Wir hatten das ja schon mal: die Sportschau am Samstagabend um 20.15 Uhr. Dieser Versuch ist ja elendig gescheitert, weil die Leute es nicht wollten. Nachher war es einfach zu viel. Und das wird hier auch eintreten. Ich habe kein Problem damit, dass die Leute nachher sich das auch verantwortlich vor Augen stellen. Wenn wir dazu unsere Bedenken äußern, dann sollte das sein: Mensch, leb verantwortlich hier, entscheide selbst. Aber wir als Kirche sollten uns raushalten aus der Entscheidung des Einzelnen.

domradio: Früher mal gab es überhaupt keine Sportveranstaltungen am Sonntag - würden Sie gerne dahin zurück?
Koch: Es wäre wunderbar, wenn der Sonntag wirklich primär der Tag des Herrn wäre. Realistisch gesehen, ist das utopisch. Ich fände es ja schon schön, wenn gewisse Zeiten reserviert werden würden. Wenn zum Beispiel wieder der Sonntagvormittag frei gehalten werden würde für Gottesdienste. Das betrifft aber nicht nur den Sport, das betrifft genauso die offenen Geschäftszeiten; den Versuch, immer mehr alle Geschäft das ganze Wochenende offen zu halten.
Wozu ist der Sonntag da? Wie gestalte ich meine Zeit? Diese Fragen zu provozieren - wenn uns als Kirche das gelänge, das wäre schon viel.