Der Kurzmitteilungsdienst Twitter wird am 27. September eine politische Rolle spielen

Wahlkampf in 140 Zeichen

Wer als Politiker vor der Bundestagswahl Zeitgeist beweisen will, der zwitschert. Der Kurzmitteilungsdienst Twitter, zu deutsch Gezwitscher, bleibt angesagt. Doch während Twitter nach dem Wahlsieg von US-Präsident Barack Obama zu einer wahren Modeerscheinung bei Politikern avancierte, mehren sich nun kritische Stimmen. Dem Online-Portal fehle es an Glaubwürdigkeit, lautet ein Vorwurf.

Autor/in:
Karina Scholz
 (DR)

Bundeswahlleiter Roderich Egeler warnte, Twitter könne zum GAU für die Bundestagswahl werden, wenn Wahlgeheimnisse ausgeplaudert würden. Und auch einer der Polit-Promis unter den Twitterern, SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, verliert inzwischen die Lust am zwitschern. Dem Wähler drängt sich die Frage auf: Nützt Twitter der Politik überhaupt?

Christian Clawien, der Initiator des Internetportals «parteigefluester.de», ist sich sicher: «Twitter markiert eine Wende im Wahlkampfgeschehen.» Seine Internetseite bündelt die jeweils 140 Zeichen langen Twitter-Nachrichten von rund 250 Politikern der großen Parteien. So kann sich der Wähler schnell und übersichtlich informieren, welche Kandidaten online über welche Inhalte plaudern.

Heil zum Beispiel informiert derzeit mit Vorliebe über gemeinsame Wahlkampfveranstaltungen mit der TV-Pädagogin Katharina Saalfrank. Er twittere nur noch «anlassgebunden», richtet die SPD-Pressestelle in seinem Namen aus. Vor kurzem war die Meldung im Umlauf, Heil habe das Twittern aufgegeben. Ganz stimmt das nicht.

Twitter stellt nach Ansicht von Clawien eine neue und direkte Form der Interaktion zwischen Wählern und Politikern dar. Konnte der Wähler früher nur über E-mails oder Abgeordnetenbüros, wo Mitarbeiter die Anfragen bearbeiten, mit seinem Wahlkandidaten Kontakt aufnehmen, sei jetzt der direkte Kontakt zwischen Wähler und Politiker gegeben. «Den Reiz bei Twitter macht die ungefilterte Information aus», betont er. Bei Twitter ist es möglich, direkt auf die Nachricht eines Benutzers zu antworten und so beinahe in Echtzeit miteinander zu kommunizieren.

Der Wähler mag allerdings Probleme haben, wenn es darum geht, die Echtheit seines Gegenüber im Twitter-Netzwerk auszumachen. Von vielen Politikern existieren unechte Benutzerprofile, nur Insider wissen mitunter, welches Profil ernst zu nehmen ist und welches nicht. Von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt es gleich ein gutes Dutzend gefälschter Profile.

Der Medienexperte Ulf Grüner ist trotzdem von den Chancen des Mini-Plauderns im Netz überzeugt. Der Journalist und Dozent sieht durch die Kommunikation via Twitter die Möglichkeit, eine demokratische Diskussionskultur zwischen Politikern und Bürgern zu schaffen. Doch Grüner findet, noch müsse die Netz-Gemeinde den Umgang mit Twitter erproben. Wie bei jeder neuen Erfindung, einst Zeitung oder Telefon, müssten die Benutzer den Umgang mit einem Medium erst lernen. Bislang sei Twitter ein «echtes Medienphänomen», sagt Grüner. Statistiken geben ihm Recht: Die Mehrheit der Twitter-Nutzer stammt aus Medienbranchen.

Da liegt der Schluss nahe, dass bei Twitter ausgeplauderte Geheimnisse schnell Verbreitung finden. Bundeswahlleiter Egeler hatte jüngst davor gewarnt, es wäre der GAU, wenn bei der Bundestagswahl die Wählerbefragungen vor Schließung der Wahllokale öffentlich bekanntwürden. Bereits bei der Bundespräsidentenwahl hatten Abgeordnete das Ergebnis frühzeitig getwittert. Egeler fürchtet, bei der Bundestagswahl könnten durch verfrüht bekanntgegebene Ergebnisse kurzfristig Wählerschaften mobilisiert und die Wahl somit grundgesetzwidrig verfälscht werden. Nach Grüners Ansicht ist die Sorge zwar berechtigt. Doch handfeste Skandale erwartet der Medienprofi nicht. Seiner Einschätzung nach kann Twitter am 27. September höchstens «für Irritationen sorgen».