Religionswissenschaftler warnen vor Verklärung des Buddhismus und übertriebener Dalai-Lama-Euphorie

Nicht nur Friede, Freude, Spiritualität

Der Religionswissenschaftler Andreas Grünschloß beobachtet eine Verklärung des Buddhismus im Westen. Speziell der tibetische Buddhismus sei für viele eine Projektionsfläche für exotische Vorstellungen von besonderer Erleuchtung und tiefer Spiritualität, sagte der an der Universität Göttingen lehrende Forscher zum Auftakt der Deutschland-Visite des Dalai Lama. Vor einer Dalai-Lama-Euphorie warnt auch der britische Tibet-Experte Paul Williams.

 (DR)

Asien und speziell Tibet gelte für viele unterschwellig als "Hort der Weisheit", fügte der Religionswissenschaftler hinzu. Dabei sei gerade der tibetische Buddhismus ein hochkomplexes Gebilde und vielfältig. Im Westen sehe man meist nur die mit den Begriffen Achtsamkeit, Frieden und Toleranz beschriebene Geisteskultur, so Grünschloß, der über die gegenseitige Wahrnehmung von Religionen gearbeitet hat.

Auch der Dalai Lama mit seiner sympathischen Ausstrahlung sei natürlich für viele eine naheliegende Identifikationsfigur. Doch gerade das "rituelle Universum" des tibetischen Buddhismus verfüge über Elemente, die in der westlichen Gegenwartsgesellschaft sonst eher als altertümliche "Magie" und "Aberglauben" abgetan würden. Diese eigentümliche Asien-Buddhismus-Faszination geht Grünschloß zufolge jedoch nicht allein auf den Dalai Lama zurück, sondern habe eine lange Rezeptionsgeschichte, die bis ins 19. Jahrhundert und das Vermächtnis der esoterischen Bewegung der Theosophie zurückreicht.

Die verbreitete Ansicht, im Buddhismus werde nicht missioniert, bewertete Grünschloss skeptisch. Immerhin verstehe sich der Buddhismus von Anfang an betont als "exklusive Religionsgemeinschaft", dessen Lehre den klassischen Texten zufolge als einzige zur Wahrheit und Befreiung führt. Grünschloß: "Der Buddhismus ist eine Universalreligion, die von der kosmischen Wahrheit ihrer Tradition felsenfest überzeugt ist." So werde das Christentum wie auch andere Religionen von führenden Buddhisten, wie auch vom Dalai Lama, bestenfalls als Religion mit einer geringeren "Wahrheitsrealisierung" betrachtet.

Dieses starke Überlegenheitsbewusstsein werde von buddhistischen Tugenden wie Freundlichkeit und Mitmenschlichkeit oft "kontrastierend überlagert". Die Attraktivität des Buddhismus gehe natürlich auch von seinen Techniken der Geistesschulung wie den verschiedenen Formen der Meditation aus, räumte Grünschloß ein. Es spreche auch nichts gegen deren "adaptierende Übernahme".

Christen könnten dies durchaus in ihren Glauben integrieren. Man müsse sich dabei aber bewusst bleiben, wie weit man in die "jeweils andere Tradition einsteigt" und religiöse Vorstellungen übernimmt. Religiös-spirituelle Praktiken seien aber seit alters her immer wieder interreligiös "gewandert", wenn sie Menschen plausibel und hilfreich schienen.

Tibet-Experte warnt vor Dalai-Lama-Euphorie

Auch der britische Tibet-Experte Paul Williams hat vor einer Dalai-Lama-Euphorie in Europa gewarnt. "Seine Verehrer sollten bedenken, dass er ihnen nicht mitteilt, was er selbst für die letzte Wahrheit hält", sagte Williams in einem Interview der Tageszeitung "Die Welt" in Berlin. Dazu fehle es den meisten Europäern nach Ansicht des geistlichen Oberhaupts der Tibeter an der nötigen Reife. "Als guter buddhistischer Lehrer passt er sich dem Niveau seines Publikums an", so Williams, der selbst eine zeitlang Buddhist war, bevor zum Katholizismus übertrat.

In Wahrheit beinhalte der Buddhismus eine höchst komplexe Lehre, betonte Williams. Als Beispiel nannte der britische Tibetologe den Glauben an die Wiedergeburt und die Erleuchtung. Die Auffassung, wonach Christentum und Buddhismus miteinander vereinbar seien, bezeichnete der Experte als "eine der großen Mythen unserer Zeit". Die spirituellen Wege beider Religionen schlössen sich gegenseitig aus. So hielten tibetische Buddhisten Jesus allenfalls für einen sehr mittelmäßigen Erleuchteten.

Auch das öffentliche Urteil über den Dalai Lama selbst werde zuweilen durch Einseitigkeit bestimmt, gab Williams zu bedenken. Zwar sei dieser eine "faszinierende Persönlichkeit". Aber das Bild des stets lächelnden Sympathieträgers bedürfe der Korrektur. "Bei Tibetern lächelt er weit weniger und spricht autoritärer - nicht, weil er unehrlich wäre, sondern weil die Menschen Unterschiedliches von ihm erwarten". Die pazifistische Gesinnung des Dalai Lama führt Williams auf den Einfluss des indischen Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi (1869-1948) zurück. Die tibetische Geschichte selbst stecke wie die von anderen Völkern auch voller Gewalt.

Tibet-Büro: Deutschland ist Hauptreiseziel des Dalai Lama

In keinem anderen Land Europas war der Dalai Lama nach Angaben des Genfer Tibet-Büros so oft wie in Deutschland. Wie die offizielle Vertretung der tibetischen Exilregierung für Zentral- und Osteuropa am Mittwoch weiter mitteilte, sei dies ein Zeichen für das enorme öffentliche Interesse und für die große Unterstützung, die der Person des buddhistischen Würdenträgers und der Tibet-Frage in Deutschland entgegengebracht werde.

Das geistliche Oberhaupt der Tibeter besucht vom bis kommende Woche Freitag Deutschland und die Schweiz. Damit hält er sich den Angaben zufolge zum 35. Mal seit der ersten Reise 1973 in der Bundesrepublik auf. Hauptveranstaltungsort in Deutschland ist die Commerzbank Arena in Frankfurt. Dort werden täglich rund 10.000 Teilnehmer erwartet. Der Besuch wird getragen von der Deutschen Buddhistischen Union, dem Tibethaus Deutschland und der vietnamesischen buddhistischen Pagode Phat Hue.

Der Dalai Lama liebe Deutschland, so das Genfer Tibet-Büro weiter. Er bewundere "die Entschlossenheit und Zielstrebigkeit der Deutschen, mit der sie ihr Land nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg aus den Ruinen wieder aufgebaut und dabei eine gefestigte Demokratie und ein starkes Wirtschaftssystem errichtet hätten", hieß es.

Der Dalai Lama will bei seinem Europa-Besuch Vorträge zum Weltfrieden und zum Mitgefühl halten sowie an Seminaren zu Fragen von Umwelt, Wirtschaft, Wissenschaft und Ethik teilnehmen. Daneben gibt er buddhistische Unterweisungen. Am 3. August soll der Dalai Lama von der Universität Marburg die Ehrendoktorwürde erhalten.

Danach reist er in die Schweiz weiter. In Europa leben nach Aussage des Tibet-Büros mehr als 7.000 Tibeter, die meisten von ihnen - rund 4000 - in der Schweiz. Am 6. August will der Dalai Lama in Genf auf einer internationalen Konferenz eine Rede halten. Ziel der Tagung sei es, Wege für eine friedliche Lösung der Tibet-Frage zu finden. Am 7. August kehrt der Dalai Lama nach Indien zurück.