Kurienkardinal Cordes über die Arbeit der Lateinamerika-Stiftung "Populorum Progressio" und die Seligsprechung von Franz Stock

"Es geht um eine Brücke"

Noch bis Freitag tagt im westfälischen Schwerte der Verwaltungsrat von "Populorum Progressio". Paul Josef Cordes ist Vorsitzender der katholischen Lateinamerika-Stiftung. Im domradio-Interview spricht der Kurienkardinal über die Arbeit der Stiftung, die Seligsprechung des Priesters Franz Stock und Heiligenfrömmigkeit in Deutschland.

 (DR)

domradio: Herr Kardinal Cordes, was hat Sie dazu bewogen, den Stiftungsrat von "Populorum Progressio" nach Deutschland ins westfälische Schwerte zu locken?  
Kardinal Cordes: Eigentlich kam die Anregung von den anderen Herren, die zu dem Stiftungsrat gehören. Wir treffen uns jedes Jahr, und beim letzten Mal war ich nicht dabei. Und es ist ja immer so: Den Letzten beißen die Hunde. Dann wurde in meiner Abwesenheit beschlossen, nachdem wir einige Male bei den verschiedenen Bischöfen in Lateinamerika waren, diesmal nach Europa und hier nach Deutschland zu gehen. Dann habe ich überlegt: Was machen wir am besten? Und es fiel mir natürlich das Liborifest in Paderborn ein, weil die Sitzungen traditionell im Juli stattfinden. Eine gute Gelegenheit, den Bischöfen deutlich zu machen, dass es in Deutschland echte katholische Volksfeste gibt. Nicht nur Volksfeste, auch Heiligenfrömmigkeit. So dass wir also die Dinge miteinander kombinieren. Die Sitzung in Schwerte und die Teilnahme am Liborifest.

domradio: Der Heilige Liborius war Brückenbauer. Was ist die Brücken bauende Aufgabe von "Populorum Progressio"?
Kardinal Cordes: Diese Stiftung geht ja vom Papst aus. Und wir legen sehr viel Wert darauf, dass sich in unserer Tätigkeit eigentlich eine originäre Verantwortung des Bischofs von Rom realisiert. Das heißt: In den ganz alten Unterlagen über den Bischof von Rom, dass er den Vorsitz in der Nächstenliebe hat. Das stammt schon aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert. Wenn also geholfen wird, geht es natürlich einmal um die materielle Gabe. Aber zum anderen geht es auch darum, dass die Bedürftigen spüren, der Papst hat sie nicht alleine gelassen. Die Menschen von heute denken sehr personal. Wir apostrophieren zwar immer das Sachliche, aber in Wirklichkeit kommt es darauf an, dass jemand Anteilnahme spürt. Ich merke das sehr stark, wenn ich irgendwo hingehe. Der Scheck reicht dann nicht, die Menschen wollen ein Gesicht gehen. Und in diesem Fall "leihe ich dem Papst dann mein Gesicht", damit sie merken, der Papst hat sie nicht alleine gelassen. Also: Es geht um eine Brücke zwischen dem Sitz des römischen Bischofs und bedürftigen Gruppen rund um die Welt.

domradio: Wir haben hier vor allem das Thema Lateinamerika, auch um die Ureinwohner, Menschen, an die kaum noch jemand denkt. Geht es auch darum, die Wunden, die der Kolonialismus geschlagen hat, zu heilen?
Kardinal Cordes: Ganz gewiss das auch. Wir spüren ja sehr stark beispielsweise bei den Afroamerikanern in Nordamerika, dass, auch wenn jemand nicht persönlich unter diesen Fehlern gelitten hat, er heute noch sehr stark daran denkt. Ich habe häufig Eingeborenenvölker in Lateinamerika besucht. Und die wissen natürlich in ihrer Tradition: Da sind die Weißen gekommen und haben uns alles weggenommen. Dass man solche Wunden zu heilen hat - mit materieller Hilfe und dem Evangelium - das liegt auf der Hand.

domradio: Auch Franz Stock war ein Brückenbauer. Was erhoffen Sie sich davon, sich mit ihren Mitbrüdern auch auf seine Spuren in diesen Tagen zu begeben?
Kardinal Cordes: Einmal ging es mir darum, dass da in den letzten Monaten etwas passiert ist. Es ist etwas passiert, auch in der römischen Kongregation, etwas ganz Wichtiges ist geschehen: dass der Erzbischof von Paderborn es angenommen hat und dass die Kongregation einverstanden war. Der Prozess wird jetzt nicht mehr von Paris aus verfolgt, sondern von Paderborn. Im November wird es dort hoffentlich eine große Veranstaltung geben. Ich erhoffe mir, dass dieser große Mann bewusst wird. Dass er neu in die Geschichte eintritt und Menschen sich mit ihm befassen. Und dass seine Leistung, sein Beitrag zur Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich wieder bewusst wird. Sein Beitrag, der sicher auch darin bestanden hat, dass er viel gelitten hat. Und am Schluss verscharrt worden ist wie ein Hund, das muss man so sagen. Dass er nichts gegolten hat am Schluss seines Lebens. Darunter hat er sehr gelitten. Und ich denke mir, dass dieses Erlöserleiden in ihm, auch den Frieden zwischen Frankreich und Deutschland möglich gemacht hat.

Zu Franz Stock:
Der aus dem Sauerland stammenden katholische Priester Franz Stock betreute in den 30er Jahren bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die deutsche Gemeinde in Paris. Unter deutscher Besatzung (1940 bis 1944) begleitete er weit über 1.000 zumeist französische Angehörige des Widerstands und Geiseln auf ihrem Weg zur Hinrichtung. Nach dem Krieg leitete er für deutsche Kriegsgefangene bis 1947 ein "Priesterseminar hinter Stacheldraht". Er gilt in beiden Ländern als frühe Persönlichkeit der deutsch-französischen Aussöhnung. Sein Grab befindet sich in Chartres.

Zu "Populorum Progressio":
Die Stiftung "Populorum Progressio" wurde 1992 von Papst Johannes Paul II. anlässlich der 500-Jahr-Feiern der Evangelisierung Amerikas als Hilfe für die indigene afroamerikanische und mestizische Landbevölkerung Lateinamerikas und der Karibik eingerichtet. Damit wollte der Papst zu Agrarreformen, zur sozialen Gerechtigkeit und zur Förderung des Friedens in Lateinamerika beitragen. Der Name der Einrichtung bezieht sich auf die Enzyklika "Populorum Progressio" von Papst Paul VI. aus dem Jahr 1967. Diese befasst sich mit Fragen einer weltweiten gerechten Entwicklung.

Im vergangenen Jahr stellte die Stiftung nach offiziellen Angaben umgerechnet knapp 1,4 Millionen Euro für Hilfsprojekte der Landbevölkerung in Südamerika bereit. Die meisten davon befanden sich in Brasilien, Kolumbien und Peru. Auch in diesem Jahr kommen die meisten Förderanfragen aus diesen Ländern. In den vergangenen 16 Jahren waren es 26 Millionen US-Dollar für Hilfsprojekte der indigenen Landbevölkerung zur Verfügung.