Erzbischof Robert Zollitsch im Interview zur Enzyklika und G8-Gipfel

"Er macht Mut"

 (DR)

Frage: Herr Erzbischof, es interessiert vor allem die Frage, was der Papst der Politik ins Stammbuch schreibt, und welche Konsequenzen muss die Politik nach der Enzyklika aus der Finanzkrise ziehen.
Erzbischof Zollitsch: Es sind eine ganze Reihe von Anliegen, die der Papst damit verbindet. Ich erinnere daran, dass vor allen Entscheidungen sowohl der einzelne Mensch, wie das Land und auch die gesamte Menschheit im Blick zu haben ist. Und das ist schon mal wichtig, dass einzelne Staaten nicht für sich alleine Entscheidungen treffen können.

Er erinnert aber auch daran, dass Entscheidungen nicht nur für uns heute bedeutsam sind, sondern auch für die nachfolgenden Generationen. Deswegen ist das Prinzip der Nachhaltigkeit sehr intensiv behandelt. Er erinnert auch daran, dass wir jetzt nicht nur die Wirtschaft im Blick haben müssen, sondern auch die ganze Frage der Entwicklung in klimatischen Folgen und der Ökologie.

Und für ihn ist es dann wichtig, dass jetzt alle sich aktiv beteiligen - der Einzelne -, dass auch die Gesellschaft ihren Beitrag leistet und jetzt nicht nur der Staat gefordert ist, obwohl der Staat auch gefordert ist. Und damit ist damit verbunden, dass wir tatsächlich uns neu auf die Werte besinnen müssen, von denen die Gesellschaft lebt. Er nennt Solidarität, er nennt Gerechtigkeit, und er hat den Mut zu sagen, Gerechtigkeit ist ein Stück Ausfluss der Liebe. Und damit ist an die Mitte des Menschen erinnert, woraus wir wirklich leben, und das ist für mich wichtig. Der Einzelne hat seine Position; er muss an die Gesellschaft denken. Die Gesellschaft im Sinn der Subsidiarität auch an den Einzelnen.

Und das für mich Großartige ist, dass der Papst aufruft zum Handeln und sagt: Ja, wir haben die Chance, diese Welt, diese Gesellschaft, die ganz globale Welt auch zu gestalten, wenn wir von den richtigen Grundlagen ausgehen. Und er macht Mut, auch das anzupacken und dabei nicht nachzulassen.

Frage: Gibt es denn auch konkrete politische Forderungen in dieser Enzyklika jetzt auch, was den Zeitpunkt des Erscheinens angeht?

Erzbischof Zollitsch: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung heute ist sicher gewählt im Blick auf den G8-Gipfel, der morgen in L'Aquila beginnt. und da ist zum Beispiel eine ganz konkrete Forderung, die schon bei dem UNO-Gedanken mit da war, die Papst Johannes-Paul der II., auch schon Papst Paul nannte, nämlich: Brauchen wir nicht eine Art Weltregierung, eine Institution und Instanz, die dafür sorgt, dass das, was in den einzelnen Ländern geschieht, auf einander abgestimmt wird, etwa bei den Finanzströmen, dass es da bestimmte Leitplanken gibt, wie wir da umzugehen haben. Und das halte ich für einen ganz konkreten Hinweis an die G8 morgen. Denkt mal daran.

Frage: Wo lagen denn bisher die Defizite im Umgang mit den Finanzmärkten?
Erzbischof Zollitsch: Wir haben gespürt, dass zu viele nur an sich dachten und zu viele meinten, man könne das große Geschäft machen. Das galt nicht nur für die großen, sondern auch für viele einzelne. Überlegen Sie selber mal: Wenn ich meine, ich lege Geld an und kann dann 15 oder 25 % Gewinn machen, da muss ich mich doch fragen: Wo soll der Gewinn herkommen? Wer erwirtschaftet ihn? Wer muss es bezahlen, wenn ich so viel Gewinn habe? Also, wir haben vergessen, dass das, was ich an Gewinn machen will, auch erwirtschaftet werden muss, dass dem ein Wert entsprechen muss. Das war sicher einer der großen Fehler. Oder denken Sie daran, wenn wir dann, wie es in den USA geschah, mit dem Hauskauf ich natürlich Kredite ins Unermessliche gebe, nicht nur den entsprechenden Wert des Hauses, sondern noch 30 % mehr, um das Haus einzurichten, all die Dinge, dann muss ich sagen, dann hat man die eigentlichen Dinge der Wirtschaft nicht mehr erkannt, sondern man meinte, durch endlosen Fortschritt dann tatsächlich es immer weitertreiben zu können, und man hat zu sehr vergessen, dass eben, dass mein Geld, das ich habe, nicht nur weiteren Gewinn bringen soll, sondern dass es sozialpflichtig ist, dass ich auch immer an den andern denken muss. Wir haben verlernt, uns daran zu erinnern, dass das, was mit meinem Geld geschieht - dafür trage ich Verantwortung.

Frage: Ist diese Enzyklika nicht auch eine direkte Kritik an der Politik der Bundesregierung?
Erzbischof Zollitsch: Sie ist sicher auch eine Kritik jetzt an dem, ... wenn wir jetzt an das Finanzgebaren denken, was nun tatsächlich viele große Staaten sich geleistet haben und dass wir auch bei uns in Deutschland ... in der Versuchung verfallen sind, zu viele Gewinne machen zu können, zu wenig zu überlegen, woher das Ganze kommt, denn sonst wären etwa unsere Landesbanken ... nicht in diese Krise gekommen.

Frage: Herr Erzbischof, morgen beginnt der G8-Gipfel in L'Aquila in Italien. In der Enzyklika des Papstes steht ganz konkret die Forderung nach einer Änderung der Organisation der Vereinten Nationen, auch nach einer Änderung der Weltwirtschaftsordnung. Ist das direkt auf diesen Gipfel morgen gemünzt?
Erzbischof Zollitsch: Die Tatsache, dass heute die Veröffentlichung geschieht, hängt sicher damit zusammen, dass wir auch die Hinweise geben wollen für den G8-Gipfel. Und wir wissen alle, wir haben die Vereinten Nationen, sind dankbar dafür; aber sie zu ohnmächtig. Und deswegen ist schon lang etwa die Forderung der Päpste, wenn ich an Johannes-Paul den II. denke, an Papst Paul den VI., dass wir eine Institution brauchen, eine Instanz in der Welt, die etwa auch an die Globalisierung denkt, die dann auch Vorgaben machen kann weltweit für den Fluss der Finanzströme und die dann eben auch dafür sorgt, dass weltweit die Ökologie nicht untergeht und dass von der ganzen Welt eben auch gesehen wird, es gibt reiche und arme Länder, und wir haben eine Verpflichtung auch den armen Ländern gegenüber. Denn im Endeffekt werden wir es nur gemeinsam schaffen, wenn alle beteiligt sind, dass wir für unsere Welt eine Zukunft haben. Und da die Globalisierung immer größer wird und immer mehr Länder einbezieht - und sie hat auch viele Vorteile -, ist es sicher richtig, beim G8-Gipfel mal denen zu sagen ja, worauf es ankommt. Und ich hoffe, dass wesentliche Kernsätze der Enzyklika morgen von den Leuten dort auch zur Kenntnis genommen werden.

Frage: Es fällt in diesem Zusammenhang immer wieder das Wort von der Weltregierung. Ist das die Vorstellung, die der Papst hat?
Erzbischof Zollitsch: Es kommt natürlich darauf an, was wir unter Weltregierung verstehen. Aber es braucht sicher eine Instanz, die weltweit für zentrale Fragen steht und auch in der Lage ist, das durchzusetzen. Man kann das durchaus Weltregierung nennen.

Frage: Wie könnte so eine Weltregierung nach der Enzyklika, nach den Vorstellungen des Papstes aussehen?
Erzbischof Zollitsch: Hier ist natürlich jetzt nicht geschildert, wie sie sich zusammensetzen soll. Aber es geht darum, dass etwa die Vereinten Nationen mehr Kompetenz bekommen, dass wir dort dann auch ein Gremium haben, vielleicht in Weiterführung des Sicherheitsrates, das dann Entscheidungen treffen kann und das dann zugleich eben auch die Vollmacht dazu hat und die Macht, das umzusetzen, was beschlossen wird. Und da fehlt heute noch vieles.

Frage: Ist denn das Ganze, diese Enzyklika zumindest in diesem Punkt, wo es um die Finanzkrise, die Globalisierung, die Weltwirtschaft geht, auch eine starke Kritik an den Nationen, auch letztendlich an der Bundesregierung in Deutschland?
Erzbischof Zollitsch: Wir spüren ja alle, dass die Finanzmarktkrise uns allen... tatsächlich gewaltig zusetzt. Und es ist eine Krise, die die ganze Welt ergriffen hat. Und damit ist natürlich auch die Kritik verbunden, dass wir zu .... blauäugig in diese ganze Situation hineingekommen sind. Denn es war doch die Illusion vieler, bei uns jetzt nicht nur der Regierungen, sondern auch der einfachen Menschen, zu meinen, man könne immer mehr Gewinne machen, ja man könne die Gewinne sogar ins Endlose steigern. Wenn ich von 15 oder 25 % Rendite spreche, da muss ich mich doch fragen, woher das kommen soll. Das muss jemand anders erwirtschaften oder es geht zu Lasten der anderen. Natürlich haben die großen Banken das vorgemacht. Es haben viele darauf gehofft, dass es immer endlos weitergeht, obwohl beim Nachdenken jeder hätte spüren müssen, so kann es ja nicht gehen. Und wenn Sie dann denken, dass unsere Landesbanken ähnlich gehandelt haben, dann steckt dahinter natürlich auch eine Kritik an dem, was die Politik versäumt hat.

Frage: In der Enzyklika steht ja eine ganz harsche Kritik an kurzfristigem Gewinnstreben .... und so weiter. Glauben Sie, dass diese Enzyklika Auswirkungen haben wird auf das künftige Finanzgebaren von Banken, von Wirtschaftsunternehmen?

Erzbischof Zollitsch: Die Enzyklika lenkt den Blick auf die ganze Welt und lenkt den blick auch auf die Zukunft im Sinn der Nachhaltigkeit, im Sinn dessen, wie es allen Völkern geht, bis hin mit den Ressourcen, die wir haben. Und damit ist klar, dass sie darauf hinweist: Ihr müsst immer das Ganze im Blick haben. Denn sonst, wenn einzelne Länder meinen, sich zu Lasten der anderen allein Profite verschaffen zu können, dann geht das Ganze unter. In sofern hoffe ich, dass durch die Wirtschaftskrise, die ein neues Nachdenken auch herausgefordert hat, tatsächlich jetzt viele neu überlegen und sagen: Ja, wir müssen an das Ganze denken. Die Nachhaltigkeit ist wichtig. Die Generationen sind wichtig. Es ist genauso die Natur wichtig, in der ganzen Ökologie. Und wir müssen jetzt daran bleiben, dass das wirklich zu einem neuen Umdenken führt, zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung, dass das, was wir in Deutschland unter sozialer Marktwirtschaft verstehen, dass das in neuer Form weitergeführt wird und dass wir dabei vor allem an die Prinzipien der Solidarität, der Nachhaltigkeit dann auch denken und wissen, ja es kann eigentlich nur ein Fortschritt geben, wenn alle davon profitieren.

Frage: Glauben Sie, dass Politiker und Wirtschaftler, Finanziers, Bänker, auf den Papst hören werden?
Erzbischof Zollitsch: Auf den Papst allein würden sie nicht hören; jedenfalls fürchte ich, werden viele nicht hören. Aber angesichts der globalen Krise, in der wir stecken, in der Finanzmarktkrise, ist doch eine neue Nachdenklichkeit gekommen. Und ich glaube, dass herausgefordert durch diese Situation, doch eine große Offenheit für das da ist, was nun der Papst sagt. Und ich wünsche mir, dass es viele auch hören und nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern sagen, ja, wir müssen entsprechend handeln.

Frage: Es ist also genau der richtige Zeitpunkt. Die Enzyklika kommt ja eigentlich mit zwei Jahren Verspätung.
Erzbischof Zollitsch: Sie kommt, wenn Sie so wollen, mit zwei Jahren Verspätung im Blick auf Populorum Progressio. Sie kommt nochmals mit einer Verspätung. Denn sie war ... Die erste Fassung war fertig im August vergangenen Jahres, und als es dann um die Übersetzung in andere Sprachen ging, kam die Finanzmarktkrise dazu. Und dann war es klar, dass der Termin verschoben werden musste, denn der Papst musste etwas dazu sagen. In sofern hat die Finanzmarktkrise einen Kairos für die Enzyklika geschaffen. Das heißt, sie hat die Menschen sensibilisiert für das, was die Enzyklika sagt und warum diese Enzyklika notwendig ist. Sie kommt zum richtigen Zeitpunkt.

Frage: Was bedeutet sie für die Deutsche Bischofskonferenz, für die katholische Kirche in Deutschland, für Sie persönlich?
Erzbischof Zollitsch: Ich werde mich intensiv dem Studium dieser Enzyklika widmen. Wir werden auch in der Bischofskonferenz ausführlich darüber beraten. Und ich werde die wichtigen Punkte dieser Enzyklika immer wieder ins Gespräch bringen mit Politikern, auch immer wieder daran erinnern, hier ist Entscheidendes gesagt. Wir haben jetzt keinen Grund mehr, dem auszuweichen. Wir müssen entsprechend handeln. Und da haben wir Bischöfe auch ein Stück weit die Aufgabe, das Gewissen der deutschen Nation zu sein.

Frage: Werden wir ... in Freiburg Gelegenheit haben, den Papst zu sehen, persönlich mit ihm auch über die Enzyklika zu reden?
Erzbischof Zollitsch: Selbstverständlich wünschen wir, dass der Heilige Vater nach Freiburg kommt. Bis jetzt ist noch keine Entscheidung gefallen. Die Einladung steht. Und ich hoffe, dass es Wirklichkeit wird.