Vor 10 Jahren stieg die katholische Kirche aus der Schwangerenberatung aus

Eine Zerreißprobe für die deutschen Katholiken

1995 wurde in Deutschland nach langer Debatte das Abtreibungsrecht geändert. Seitdem müssen sich Frauen, die straffrei abtreiben wollen, in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten in einer anerkannten Stelle beraten lassen und dies über einen Schein nachweisen. Auch katholische Beratungsstellen händigten die Scheine aus. Bis Papst Johannes Paul II. dies 1999 untersagte. Es folgte eine Zerreißprobe für die deutschen Katholiken.

 (DR)

Papst Johannes Paul II. starb 2005. Wie überall auf der Welt würdigte auch die katholische Kirche in Deutschland die große Lebensleistung des polnischen Papstes. Kardinal Karl Lehmann, damals Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, mischte in seine Hymne jedoch ein wenig Moll: «Nicht immer war das Verhältnis zum Papst frei von Unstimmigkeiten.»

Genau vor zehn Jahren passierte das, was der Kardinal später
diplomatisch als «Unstimmigkeit» titulierte. In Wirklichkeit war es ein handfester Streit, ja eine Zerreißprobe für die Bischofskonferenz und letztlich die deutschen Katholiken: Der Vatikan untersagte es den katholischen Beratungsstellen für Schwangere, den berühmten «Schein» auszustellen, der eine straffreie Abtreibung ermöglicht. Im Januar 1998 schrieb Papst Johannes Paul II. an die deutschen Bischöfe, sie sollten ihre Hilfe für schwangere Frauen fortführen. «Gleichzeitig habe ich Euch um der Klarheit eures Zeugnisses für die Unantastbarkeit jedes menschlichen Lebens willen eingeladen, in den kirchlichen ... Beratungsstellen keine Bescheinigung mehr ausstellen zu lassen», heißt es in dem Brief.

In der Öffentlichkeit schlugen die Wogen der Empörung hoch. Der Brief löste bei Politikern quer durch die Parteien Entsetzen aus. Sie forderten die deutschen Bischöfe zum Widerstand auf.

Am 23. Juni 1999 ging Kardinal Lehmann in Bonn an die
Öffentlichkeit - sichtlich angegriffen von der Debatte. Der Papst verlange von der Kirche ein Höchstmaß an Entschiedenheit in ihrem Eintreten für das Lebensrecht ungeborener Kinder. Es könne keine «grundsätzlich illoyale Konfliktstrategie geben». Daher würden die katholischen Beratungsstellen den Schein nur noch mit einem Zusatz ausstellen: «Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden.»

Doch auch die Zusatzformel untersagte der Vatikan schließlich. Ein Bistum nach dem anderen stieg daraufhin aus der Beratung mit Schein aus. Am längsten wehrte sich der Limburger Bischof Franz Kamphaus. Erst im März 2002 lenkte er ein: «Ich respektiere die Gewissensentscheidung» des Papstes, erklärte der Bischof damals.

Unterschiedliche Folgen für die Beratung
Die Katholiken in Deutschland gingen unterschiedliche Wege:

Schwangerenberatungsstellen der Bistümer wie esperanza in Köln, bieten weiterhin eine breit aufgestellte Beratung für Schwangere und Mütter und Väter an, stellen jedoch keine Scheine mehr aus.

Und schon im September 1999 gründeten Laien den Verein «Donum Vitae» (Geschenk des Lebens). «Donum Vitae» will Frauen ermutigen, ihr Kind zu behalten, stellt aber den Schein aus, wenn die Frau das wünscht. Inzwischen unterhält der Verein an 190 Orten Beratungsstellen. Die Amtskirche duldet dieses Vorgehen nicht. Die deutschen Bischöfe machten klar, dass kirchliche Mitarbeiter in dem Verein keine Leitungsposten übernehmen dürften und «Donum Vitae» eine Vereinigung außerhalb der Kirche sei, die auch keine Kirchensteuergelder erhält.