Neue Debatte um Afghanistan-Strategie - Militärdekan in Masar-i-Sharif im Interview

Ist es das wert?

Nach dem Tod von drei weiteren deutschen Soldaten bei Gefechten in Afghanistan ist die Debatte über die dortige Strategie der Bundeswehr neu aufgeflammt. Die Koalition verteidigt den Einsatz am Hindukusch. Die Opposition fordert einen Abzug. Der katholische Militärbischof Walter Mixa hat mit Betroffenheit auf den Tod der Soldaten reagiert. Gregor Ottersbach, Militärderdekan im Bundeswehrlager im afghanischen Masar-i-Sharif, beschreibt im domradio-Interview die gedrückte Stimmung unter den Kameraden vor Ort.

 (DR)

Der im afghanischen Masar-i-Sharif stationierte Militärdekan Gregor Ottersbach hat den Bundeswehreinsatz in Afghanistan im domradio-Interview verteidigt. Es gehe hier nicht um Begrifflichkeiten wie ‚Krieg' oder ‚humanitärer Einsatz'. Ottersbach: „Es ist ein bewaffneter Einsatz, es ist aber auch eine kriegerische Auseinandersetzung. Daneben gibt es aber auch diesen humanitären Einsatz, der genauso hier in Afghanistan stattfindet. Und deswegen ist eben nicht allein der Begriff Krieg richtig."

Die Diskussion um ihren Einsatz werde von den Soldaten in Afghanistan unterschiedlich wahrgenommen. Dort wo Erfolge sichtbar würden - wie beispielsweise bei der Ausbildung - spürten sie, dass sie etwas bewegen könnten. Soldaten, die in anderen Bereichen im Einsatz seien, hätten eher das Gefühl, nichts ausrichten zu können.

Das Gros der deutschen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan ist Ottersbach zufolge zuversichtlich und will die Situation in dem Land verbessern.


Militärbischöfe betroffen
Bischof Mixa sagte am Mittwoch, in dieser Situation seien die Militärseelsorger in besonderer Weise gefordert. Sie stünden in direktem Kontakt mit den verwundeten und den am Geschehen beteiligten Soldaten; zugleich sollten sie den Angehörigen der Gefallenen zu Hause beistehen, um ihnen als Seelsorger Trost und Kraft zu spenden und aus dem christlichen Glauben heraus Hoffnung zu geben.

Die Gefallenen zeigten mit brutaler Deutlichkeit die Gefahr, in der sich die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Einsatz befänden, betonte der Militärbischof. Sie setzten in Afghanistan immer wieder ihr Leben im Kampf für Frieden, Freiheit und Recht aufs Spiel.

Mixa verwies auf die Verantwortung des deutschen Volkes in einer globalen Welt, die nur dann eine Zukunft habe, wenn alle Menschen im Respekt voreinander lebten. Der Weg dorthin sei schwierig und "leider oft nur unter der Anwendung von Gewalt und Waffen möglich".

Der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann hat nach dem Tod von drei Bundeswehrsoldaten am Dienstag in Afghanistan ein Ausstiegsszenario gefordert. «Die Bundesregierung muss deutlicher als bisher sagen, was in Afghanistan erfüllt sein muss, damit die Soldaten wieder nach Hause kommen», sagte Dutzmann am Mittwoch in Detmold dem epd. Auch müsse ein zeitlicher Rahmen festgelegt werden, erklärte der Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Nach Auffassung von Dutzmann ist zudem eine öffentliche Diskussion über den Auftrag der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen notwendig.

Die Bundeswehr befinde sich zwar nach dem Völkerrecht nicht im Krieg, sagte Dutzmann weiter, der im Hauptamt Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche ist. «Was die Soldaten aber erleben, ist Krieg», betonte der Militärbischof. Sie würden beschossen und bedroht und müssten auch selbst töten. «Das, was die Soldaten erleben, ist für mich als Seelsorger entscheidend», unterstrich Dutzmann.

Dutzmann mahnte eine stärkere öffentliche Diskussion an. Die Soldaten seien im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland und damit der ganzen bundesdeutschen Gesellschaft dort. «Ich erwarte deshalb, dass sich die Gesellschaft mit diesem Einsatz und dem, was dort geschieht, kritisch und konstruktiv auseinandersetzt», erklärte Dutzmann. Das tue auch die Kirche und der EKD-Militärbischof.

Der Theologe wies Kritik zurück, dass sich die Kirche nicht deutlich genug zur Situation der Soldaten äußere. Als Militärbischof habe er erst kürzlich eine Woche bei den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan verbracht. Damit habe er «ein Zeichen der Verbundenheit» mit den Soldatinnen und Soldaten gesetzt, sagte Dutzmann. Auch mit den Verantwortlichen in der Politik sei er im Gespräch über die Zielsetzung des Einsatzes. Außerdem habe die EKD in ihrer Friedensdenkschrift klar zur Bundeswehr Stellung genommen.

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), hatte ein klares Bekenntnis unter anderem von Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaft zu den deutschen Soldaten in Afghanistan angemahnt. Er vermisse die Aussage «Unsere Truppe steht in Afghanistan in einem schweren Kampf - und wir stehen als Bürger und Staatsbürger fest zu ihnen», sagte Robbe der «Bild»-Zeitung (Mittwochsausgabe). «Das wäre ein Zeichen menschlicher Zuwendung», sagte Robbe.

Krieg oder nicht Krieg?
Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele forderte eine Abzugsstrategie. Auch Linke-Fraktionschef Gregor Gysi erneuerte die Forderung seiner Partei nach Beendigung des Bundeswehr-Einsatzes. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Elke Hoff beklagte derweil eine fehlende rasche Luftunterstützung der Bundeswehr für bedrängte Bodentruppen.

Verteidigungsminister Jung will weiterhin nicht von einem «Krieg» der Bundeswehr sprechen. «Dabei würde man verkennen, dass unsere Strategie eine andere ist», sagte Jung. Militärisch allein könnten die deutschen Soldaten in Afghanistan nicht erfolgreich sein. «Wir sind dort keine Besatzer», sagte Jung und verwies auf die Strategie der vernetzten Sicherheit. Dazu gehöre neben Kämpfen und Schützen auch Helfen und Vermitteln, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen.

Auch der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), wies Überlegungen für eine veränderte Afghanistan-Strategie zurück. «Der Einsatz ist richtig. Und wir sind mit den Amerikanern in engem Dialog, wie er noch wirksamer werden kann», sagte er. Den Fall der drei deutschen Soldaten, die bei einem Unfall mit ihrem Panzer ums Leben gekommen waren, bedauerte Erler. «Fälle wie dieser sind tragisch. Aber sie gehören leider derzeit zur Realität in Afghanistan.«

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte, das strategische und taktische Vorgehen in Afghanistan müsse zwar immer wieder neu überdacht werden. «Doch wer diesem Terrorismus nachgibt, der wird langfristig noch viel, viel größere Sicherheitsprobleme haben», betonte Arnold.

Dagegen verwies Ströbele auf die dramatisch verschlechterte Situation in Afghanistan und forderte eine «Exit-Strategie»: Der «sinn- und endlose Krieg» dort müsse beendet werden. Ströbele fügte hinzu: «Wir können doch jetzt nicht fünf oder zehn Jahre so weiter machen und uns dann noch mal hinsetzen und feststellen, dass wir den Krieg nicht gewonnen haben und man ihn ja auch gar nicht gewinnen kann, wie die Militärs mittlerweile selbst einräumen.»

Gysi sagte, das Ziel, den Terrorismus zu bekämpfen, werde in sein Gegenteil verkehrt. »Der Afghanistan-Einsatz erhöht die Anschlagsgefahr in Deutschland und der Welt."

Die FDP-Verteidigungspolitikerin Elke Hoff kritisierte, die Bundeswehr habe in Afghanistan keine eigene Kapazität für «Kampfflieger, die bedrängten Bodentruppen in kurzer Zeit aus der Luft helfen können». Sie fügte hinzu: «Ich bin ziemlich betroffen, dass sich jetzt wieder auf so tragische Art und Weise zeigt, dass wir unseren Soldaten in Gefechtssituationen nicht die nötigen Hilfen geben.»

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), forderte ein klares gesellschaftliches Bekenntnis zu diesem Krieg. In der Öffentlichkeit werde «noch immer verdrängt», dass die Bundeswehr am Hindukusch Krieg führe, sagte Robbe. «Ich frage mich: Wo bleibt das klare Wort der Kirchen, der Gewerkschaften, der Wirtschaft.»

Der Wehrbeauftragte sprach sich trotz des erneuten Angriffs für die Weiterführung des Einsatzes aus: «Wir müssen den Menschen sagen, warum dieser Einsatz, warum diese Feuergefechte notwendig sind. Jetzt abzuziehen würde bedeuten: Alles war umsonst.»