Der Theologe Karl-Heinz Menke zu Bedeutung des Sühnetodes Jesu

Symbol der Gemeinschaft mit Gott

Am Freitag in der Woche nach Fronleichnam feiert die Katholische Kirche das Hochfest des "Heiligsten Herzen Jesu". Ein Fest, das an ein grausames Geschehen erinnert: Die Kreuzigung Christi. Wie daraus etwas Gutes wie Sündenvergebung werden konnte, erklärt im domradio-Interview der Theologe Karl-Heinz Menke.

 (DR)

domradio: Jesus ist am Kreuz gestorben. Wie kann aus so einem grausamen Verbrechen doch so was Gutes wie Sündenvergebung werden?
Menke: Bei vielen Menschen ist bei dem Begriff Opfer etwas im Kopf, das in der Bibel so gar nicht drin steht: dass nämlich Jesus Christus vom Vater geopfert wurde für die Menschen und deren Sünde. So dass die Menschen nicht etwa etwas opfern mussten für ihre Sünde als Ausgleich gegenüber dem Vater. Aber das ist eine völlig falsche Vorstellung, die in der Bibel auch nirgendwo enthalten ist, sondern die aus der römisch-germanischen Rechtspraxis stammt. Dort gibt es den Grundsatz, dass für jedes Verbrechen oder besser: für jede Sünde ein Verdienst als Ausgleich her muss. Was eigentlich Sache ist und was biblisch ist, ist Folgendes: dass Gott so Liebe ist, dass er lieber sich selber dem Sünder aussetzt und seinem Hass und seiner Wut, als dass er ihn aufgibt. Und deshalb kommt es nicht notwendig, sondern faktisch zum Kreuz. Wenn also Gott dem Sünder solange nachgeht, bis dieser sich von seiner Liebe überzeugen lässt - dann haben wir verstanden, was Christus für uns getan hat.

domradio: Er ist für uns und unsere Sünden gestorben, heißt es immer wieder an vielen Stellen, auch im Neuen Testament. Was für uns so schlecht begreifbar ist: Wie kann der Tod eines einzelnen Menschen für alle die Erlösung bedeuten?
Menke: Das ist eine sehr wichtige Frage - und es würde mich mal interessieren, wenn man in Köln auf die Fußgängerzonen gehen würde und man würde unvermittelt jemanden Fragen: Was hat Jesus Christus vor 2.000 Jahren für Dich getan, was Du nicht einfach nachtun kannst? Dann würde ich Folgendes antworten: Indem Christus, der nun vollkommen  mit dem Vater in Gemeinschaft ist, der ganz und gar Gemeinschaft mit Gott hat, der den Tod gestorben ist, ist der Tod nicht mehr, was er vorher war, er ist nicht mehr Symbol der Trennung von Gott, sondern er ist umgewandelt worden in ein Symbol der Gemeinschaft mit Gott. Das ist eigentlich die Osterbotschaft der Kirche und der Ausdruck für das, was eigentlich mit dem Karfreitag verbunden ist.

domradio: Jesus Christus übernimmt für alle die Sündenlast - das klingt wie das Prinzip Sündenbock, bei dem ich alle Verantwortung abgeben kann. Mache ich es mir da nicht ein bisschen einfach als Mensch?
Menke: Diese Theorie hat ein biblisches Fundament. Und zwar hat die frühe, beginnende Kirche die Frage gestellt: Warum musste Christus überhaupt am Kreuz sterben? Da war es ganz nahe liegend, dass  man auf die Versöhnungsriten des Tempelkultes, der auch zur Zeit Jesu noch praktiziert wurde, zurückgriff. Und da gab es den großen Versöhnungstag, an dem der Hohe Priester das Blut von Tieren an die Stellen sprengte, an denen ehemals die Bundeslade im salomonischen Tempel gestanden hatte. Und das war nach der Auffassung der Juden der Ort, wo Gott ganz und gar anwesend ist. Dass er nun für uns zum Sündenbock gemacht worden sei, das ist eine Theorie, die ebenfalls im Versöhnungstag wurzelt. Denn hier war ein zweiter Ritus der sogenannte Sündenbockritus. Der Hohe Priester stemmte seine Hände auf ein Tier, einen Bock, und sagte: Gott möge die Sünden der Israeliten so auf diesen Bock übertragen und in de Wüste schicken. Zum Teil hat man diesen Sündenbock auch getötet. Damit ist die Sünde getötet, symbolisch gesprochen. Jesus Christus hat diesen Sündenbock-Mechanismus nicht mitgemacht, sondern aufgedeckt. Man hat ihn zwar - unschuldigerweise - zum Sündenbock gemacht. Man hat ihn ans Kreuz geschlagen! Aber er hat nicht seinerseits diejenigen, die ihn ans Kreuz geschlagen haben, angeklagt, sondern er hat gesagt: Liebt Eure Feinde.   

Hören Sie das Gespräch in voller Länge.