Patientenverfügungen bekommen hohe unbegrenzte Verbindlichkeit - Kritik der Bischöfe

"Ein guter Tag - lebensgefährlich"

Nach jahrelangem Streit hat der Bundestag eine gesetzliche Grundlage für Patientenverfügungen beschlossen. Ein solches Dokument hat künftig, falls es in Schriftform vorliegt, für den Arzt und andere Beteiligte hohe rechtliche Verbindlichkeit und ist unabhängig vom Stadium einer Erkrankung umzusetzen. Die Deutsche Bischofskonferenz kritisierte eine "einseitige Betonung der Selbstbestimmung des Patienten".

 (DR)

Der Bundestag entschied am Donnerstagnachmittag in einem ganzen Abstimmungsreigen recht deutlich. In Zweiter Lesung sprachen sich 320 von 566 Abgeordneten für den federführend vom SPD-Rechtsexperten Joachim Stünker beworbenen Gesetzentwurf aus. Der Erfolg Stünkers, dem schon seit 2007 die größte Abgeordnetengruppe folgte, hatte sich frühzeitig abgezeichnet. Der Sozialdemokrat setzte sich schon im - für den Bundestag ungewöhnlichen - Geschäftsordnungsstreit um die Abstimmungs-Reihenfolge durch.

Meist ging es in der 100-minütigen Debatte, der dritten Aussprache des Bundestages zu diesem Thema in der laufenden Legislaturperiode, um die Selbstbestimmung, um unzumutbares Leid, Ängste oder Apparatemedizin. Vor allem ein abschließender Schlagabtausch zwischen Stünker und Wolfgang Bosbach (CDU), einem seiner Gegenspieler auf Unionsseite, stellte den Kern des Konflikts heraus: Wie weit geht das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht des Menschen? Der Sozialdemokrat bekräftigte dies und lehnte eine Abwägung der Selbstbestimmung mit dem Lebensschutz strikt ab. Bosbach argumentierte dagegen mit den vom Bundestag beschlossenen hohen gesetzlichen Hürden für die Lebendspende von Organen.

Die Entscheidung zu den Patientenverfügungen war das letzte noch ausstehende brisante Ethikthema. Die Entscheidung passt zur Stimmung in der großen Koalition im heraufziehenden Wahlkampf. Zwar erfolgte die Meinungsbildung im Vorfeld ohne Fraktionszwang, zwar war die Abstimmung wie bei Gewissensfragen üblich freigegeben. Aber es stellte sich - mit Stünker - doch ein rot-roter Block samt gelber und einiger grüner Kleckse gegen ein schwarzes Lager, dem sich überwiegend kirchlich gebundene Abgeordnete von Grünen und FDP und eine Reihe von Sozialdemokraten angeschlossen hatten.

Stünker brachte letztlich erfolgreich ein Konzept durch, das eine Herzensangelegenheit von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) aus Zeiten der rot-grünen Koalition vor 2005 war und damals wegen der plötzlich anstehenden Bundestagswahl unerledigt blieb. Dabei hat Zypries in den vergangenen Jahren schon manchesmal ein Detail betont, das nun in ersten Reaktionen angesprochen wurde - auch vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert
Zollitsch: Angesichts der Durchsetzungskraft, die Patientenverfügungen bekommen, gewinnt im Ernstfall am Sterbebett die Rolle eines Bevollmächtigten, einer Person des Vertrauens, an Bedeutung. Die Deutsche Bischofskonferenz kritisierte daher eine «einseitige Betonung der Selbstbestimmung des Patienten». Das neue Gesetz berge die Gefahr eines Automatismus: Ein möglicherweise zu gesunden Zeiten vorab geäußerter Wille dürfe nicht mit dem Willen eines sterbenskranken und nicht mehr äußerungsfähigen Menschen gleichgesetzt werden, erklärte der Konferenzvorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch. Er würdigte zugleich die «langjährige, ernsthafte und verantwortungsvolle Debatte».

Zollitsch forderte, dass künftig genau überprüft werden müsse, ob die vorab verfasste Patientenverfügung wirklich dem aktuellen Willen des Schwerstkranken entspreche und seiner individuellen Krankheits- und Sterbesituation gerecht werde. «Nochmals betonen wir, dass Patienten im Wachkoma und Patienten mit schwerster Demenz sich nicht in der Sterbephase befinden.» Der Erzbischof warb zugleich für die Abfassung einer Patientenverfügung.

Skeptisch äußerte sich auch die Deutsche Hospiz Stiftung: Ein Gesetz sei besser als keins, sagte der Geschäftsführende Vorstand Eugen Brysch. Er kritisierte insbesondere, dass keine Beratungspflicht eingeführt wurde. Die Aktion Lebensrecht für Alle sprach von einer Katastrophe sowohl für den Lebensschutz als auch für das Selbstbestimmungsrecht von Patienten am Lebensende.

Redner aller Lager setzten sich in der Debatte mit der veränderten Bedeutung von Krankheit und Alter in einer älter werdenden Gesellschaft auseinander. Notwendig seien mehr Angebote an Schmerztherapie, an Hospizeinrichtungen, an Sterbebegleitung.
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) sprachen diesen Punkt betont an. «Am Ende geht es um die Würde, da werden wir noch viel tun müssen in der Gesellschaft», meinte Göring-Eckardt.

Der Bundestag hat eine sechs Jahre lange Debatte beendet, das große Thema des Umgangs mit den Grenzen des Lebens bleibt erhalten.