Fünf Jahre Benediktinercella auf Reichenau

"Enormer Zulauf"

"Wir sind wieder da." Wenn Pater Stephan Vorwerk von der Rückkehr der Benediktiner auf die Bodenseeinsel Reichenau spricht, klingt das wie die Rückmeldung nach Urlaubstagen. Dabei kam das Klosterleben 2001 nach fast zwei Jahrhunderten auf die Insel zurück. Seit 2005 sind die Benediktiner auch die Gemeindeseelsorger der zum Erzbistum Freiburg gehörenden Insel.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Seitdem erklingt in der Egino-Kapelle von Niederzell wieder mehrmals täglich das Stundengebet der Mönche. Und aus dem Pfarrhaus nebenan wurde ihr Domizil. In Zeiten, in denen Berichte über Klosterschließungen oder die Überalterung von Ordensgemeinschaften üblich sind, wagte Pater Stephan den Neubeginn. Am 13. Juni 2004 - vor fünf Jahren - wurde die Gemeinschaft formell als "Cella" der Erzabtei Beuron errichtet. "Cella", das ist die offizielle Bezeichnung für die kleinste Einheit eines Klosters. Der Jahrestag wird nicht groß gefeiert - die Reichenau denkt eher in Jahrhunderten.

"Wir sind eine Gemeinschaft, die im Prozess des Entstehens ist", sagt der 53-Jährige. "Aber wir haben auch schon Beständigkeit, wir sind angekommen." Ihm kommt die Bezeichnung "Cella" ganz recht. Sie passe zu den Ortsnamen auf der Insel: Oberzell, Mittelzell und Niederzell. Und sie stehe für die Entwicklungsfähigkeit, bei der Kirche im 21. Jahrhundert auf kleinere Formen setzen müsse.

Zu Beginn waren sie nur zwei: Pater Stephan, der zur Abtei Gerleve gehörte, und als Gast der damals bald 80-jährige Altabt Nikolaus Egender. Heute ist die Benediktiner-Gemeinschaft zu dritt. Pater Daniel Riedmann (43) ist nun Pfarrer der Insel, Sebastian Haas-Sigel (33), der bald nach der Gründung als Kandidat auf die Reichenau kam, empfing hier vor wenigen Wochen die Priesterweihe. Er ist der erste Mönch, der direkt zur Cella gehört.

Beim Stundengebet singen die Mönche selten allein, auch nicht morgens um viertel nach sechs. "Aus unserer Cella ist eine Gebetsgemeinschaft entstanden", sagt Pater Stephan. Es sei Teil der alten monastischen Tradition, die Menschen mitzunehmen. Und im eigentlichen Wortsinn bedeute "Tradition" die Wahrung eines großen geistlichen Schatzes, aber auch die Übergabe. "Wir versuchen, einen alten Kraftort mit Leben zu füllen."

Alfred Heizmann, der seit 28 Jahren auf der Insel wohnt, ist einer derer, die am Morgen häufig mitbeten. Er spricht von "enormem Zulauf" und von einer "absoluten spirituellen Bereicherung" für die Reichenau. Das Gebet der Mönche, so der 60-jährige Lehrer, ziehe Einheimische ebenso an wie Urlaubsgäste.

Vor einigen Tagen, zum traditionellen Heilig-Blut-Fest der Insel, war der oberste Benediktiner weltweit, Abtprimas Notker Wolf, zu Gast - und zeigte sich beeindruckt vom Neuanfang. Für die Geschichte seines Ordens und für die europäische Kulturgeschichte insgesamt ist die Reichenau ein wichtiger Ort. Im Mittelalter war der 724 von Pirmin gegründete Konvent eines der bedeutendsten Klöster überhaupt, eines der kulturellen und wissenschaftlichen Zentren des Reiches. Die Überlieferungen der Reichenauer Schreibschule erinnern daran ebenso wie die weltberühmten Wandmalereien der Oberzeller Georgskirche.

Dabei mag es ein Vorteil sein, dass die Mönche heute - anders als im Mittelalter - im hintersten Inselort Niederzell beten und leben.
Hierhin schwappen nur leichte Wogen des Tourismus, der die seit 2000 zum Unesco-Weltkulturerbe zählende Reichenau in den Sommermonaten trifft. Dann liegt die Insel, seit 1838 durch einen Damm mit dem Festland verbunden, eben nicht mehr beschaulich ruhig im See wie im Herbst oder Winter.

"Die Leute kennen uns, und wir kennen die Leute", erzählt Pater Stephan. Die Ordensleute hätten die Zurückgezogenheit ihres Hauses, seien aber auch mit den Menschen unterwegs. Gelegentlich, wenn in einem der Dörfer gefeiert wird, holt der Westfale seine Steirische Harmonika heraus und spielt. Kräftig-schmissig, auch mal melancholisch. "Die Insel ist für mich Heimat, Verwurzelung geworden", so der Ordensmann.