Wahlen im Libanon zwischen Islamisierungsängsten und Korruption

Die Stimmen der Christen entscheiden

Am Sonntag wurde im Libanon ein neues Parlament gewählt, erst im Laufe des Tages wird mit Ergebnissen gerechnet. Beobachter erwarten ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Wahlbündnissen. Den Ausschlag haben voraussichtlich die Stimmen der libanesischen Christen geben.

Autor/in:
Karin Leukefeld
 (DR)

Im Libanon, der rund vier Millionen Einwohner zählt, lebt eine Vielzahl muslimischer und christlicher Gruppen. Deren jeweiliger politischer Einfluss ist durch die Verfassung genau festgelegt. Muslimen und Christen stehen insgesamt jeweils die Hälfte der 128 Parlamentssitze zu. Um sie bewerben sich 587 Kandidaten, darunter 12 Frauen. Wahlberechtigt sind Frauen und Männer ab 21 Jahren - auch wenn sie im Ausland leben.

Ein komplizierter Wahlschlüssel legt die Verteilung der Mandate unter den 11 (von insgesamt 18) Religionsgruppen fest, die mit Sitzen im Parlament vertreten sind. Die sunnitischen und schiitischen Muslime erhalten jeweils 27 Sitze, die Aleviten 2 und die Drusen, die in diesem Zusammenhang ebenfalls zu den Muslimen gezählt werden, 8 Sitze.

Machtverteilung fußt auf einer Volkszählung aus dem Jahr 1933
Auf christlicher Seite sind 34 Sitze für die Maroniten reserviert, den Griechisch-Orthodoxen stehen 14 Sitze zu, den Katholiken 8, den Armeniern 6; kleinere christliche Gruppen teilen sich 2 weitere Sitze. Wie die Parlamentssitze werden auch die höchsten Staatsämter unter den großen Religionsgruppen aufgeteilt: Der Staatspräsident ist stets ein maronitischer Christ, der Ministerpräsident ein sunnitischer Muslim und der Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim.

Diese politische Machtverteilung fußt auf einer Volkszählung aus dem Jahr 1933. Damals machten Christen und Muslime jeweils die Hälfte der Bevölkerung aus. Seither haben jedoch viele Christen das Land verlassen, und die Zahl der Muslime hat zugenommen. Daher schätzen Fachleute den Bevölkerungsanteil der Christen auf gegenwärtig nur noch 35 bis 40 Prozent. Auf die sunnitischen und schiitischen Muslime entfällt nach diesen Angaben je ein weiteres Drittel der Bevölkerung.

Die Parlamentswahl 2005 gewann das von Sunniten geführte Bündnis "14. März" um Saad Hariri, den Sohn des kurz zuvor ermordeten Ministerpräsidenten Rafik Hariri. Auf der anderen Seite steht das von der schiitischen Hisbollah geführte Oppositionsbündnis "8.  März". Beide Bündnisse werden von christlichen Parteien unterstützt.

Dem allgemein als "pro-westlich" beschriebenen Bündnis 14. März gehören die Christlichen Libanesischen Streitkräfte mit ihrem Führer Samir Geagea sowie die christliche Phalange-Partei unter dem früheren Staatspräsidenten Amin Gemayel an. Außerdem zählt dazu die Fortschrittliche Sozialistische Partei des Drusenführers Walid Dschumblatt.

Wahlkampf von heftigen Polemiken geprägt
Die oppositionelle schiitische Hisbollah wird von der Freien Patriotischen Bewegung von Ex-Generals Michel Aoun unterstützt, einem Maroniten. Auch die starke Minderheit der Armenier, deren Partei Taschnag in früheren Wahlen bis zu 85 Prozent der armenischen Christen auf sich vereinen konnte, ist auf Seiten der Opposition. Diese Partei könnte am Sonntag das Zünglein an der Waage werden. Weitere Bündnispartner der Opposition sind die schiitische Amal-Bewegung, die christliche Al-Marada-Partei sowie die Syrische Nationale Sozialistische Partei, in der auch viele Christen organisiert sind.

Der Wahlkampf der beiden Bündnisse war von heftigen Polemiken geprägt. Die christlichen Parteien des 14. März warnen vor einer (schiitischen) Islamisierung Libanons, falls die Opposition gewinnt. Christliche Unterstützer des Oppositionsbündnisses weisen dieses Szenario als Angstmacherei zurück.

Alle Parteien haben mit großem Aufwand unter Auslandslibanesen geworben. Flugtickets und Hotelkosten werden bezahlt, um Wähler einzufliegen. Rund 19.000 Auslandslibanesen sollen davon Gebrauch gemacht haben. An 5.200 Wahlbüros sind 250 internationale und 2.200 nationale Beobachter im Einsatz. 50.000 Soldaten und Polizisten sollen für Sicherheit sorgen - und ebenso das Wahlergebnis. Doch dass die Zedern-Republik nach Jahren der Konflikte und Regierungskrisen nun zur Ruhe kommt, halten Beobachter für Wunschdenken.