Als das Militär die Proteste in China beendete

Panzer auf dem Platz des himmlischen Friedens

Das Massaker in den Straßen um den Platz des Himmlischen Friedens in Peking vor 20 Jahren löste international Bestürzung aus. In der Nacht zum 4. Juni 1989 hatte die Armee das Feuer auf friedliche Demonstranten eröffnet. Fernsehkameras übertrugen das Blutvergießen in alle Welt.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

Der Mann war tollkühn. Oder einfach nur verzweifelt. Anders lässt sich die Szene jedenfalls nicht erklären, die sich in den Morgenstunden des 5. Juni 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens abspielte. Tags zuvor hatten Armeeeinheiten die Freifläche inmitten der chinesischen Hauptstadt Peking von Demonstranten geräumt. Jetzt befanden sich nur noch Panzer auf dem riesigen Areal.

Und eben jener mit zwei Plastiktüten bewaffnete Unbekannte, der sich wild gestikulierend den Einsatzfahrzeugen in den Weg stellte. Das Bild geriet zum Inbegriff für die gescheiterten Proteste, mit denen insbesondere Studenten einen gesellschaftlichen Wandel in China erreichen wollten. Vor 20 Jahren wurden diese Unruhen von der kommunistischen Führung des Landes brutal niedergeknüppelt.

Bis zu 1.000 Tote
Wobei die Bezeichnung "Massaker" für die Geschehnisse am Tiananmen-Platz selbst in die Irre führt. Denn obwohl sich seit Mitte April zeitweilig mehr als 100.000 Menschen zu den täglichen Sit-Ins auf dem Gelände versammelt hatten, kam es dort nur zu wenigen Todesopfern. Ein Grund dafür war die große Zahl von internationalen Medienvertretern, die eigentlich den Staatsbesuch des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow verfolgen wollten.

Um ihr Gesicht zu wahren, schlug die chinesische Regierung im Zentrum der Hauptstadt zunächst einen zurückhaltenden Kurs ein. Was sie nicht davon abhalten sollte, allein beim militärischen Vormarsch auf den Platz bis zu 1.000 Zivilisten zu töten.

Die gleichzeitig in vielen Teilen des Landes stattfindenden Säuberungsaktionen beendeten eine Protestbewegung, die sich weniger an der Person des zufällig anwesenden "Glasnost"-Politikers Gorbatschow orientierte, als an historischen Vorbildern aus der eigenen Geschichte. Denn schon 1919 kamen, ebenfalls im Frühjahr, mehr als 3.000 Studenten vor dem Tiananmen-Tor zusammen, um nach dem Zerfall des Kaiserreiches für eine neue Kultur des Zusammenlebens zu demonstrieren. Aus dieser "Bewegung des 4. Mai" entstand die kommunistische Partei Chinas, gegen deren Repräsentanten die Akademiker 70 Jahre später aufbegehrten.

Tod des chinesischen Reformpolitikers Hu Yaobang
Äußerer Anlass war diesmal der Tod des chinesischen Reformpolitikers Hu Yaobang am 15. April 1989. Schnell schlugen die Trauerkundgebungen in Proteste gegen vermeintlich oder tatsächlich korrupte Kader um, die von der vorsichtigen wirtschaftlichen Öffnung des Landes profitierten. Wie schnell die Stimmung umschlagen konnte, hatten führende Regierungsvertreter zuletzt im April 1976 erlebt, als es nach dem Tod von Ministerpräsident Zhou Enlai landesweit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam - unter anderem abermals auf dem Platz des himmlischen Friedens.

Ohne diese historischen Bezüge, so stellt China-Expertin Katharina Wenzel-Teuber fest, lassen sich Verlauf und Wirkung der Ereignisse vom Juni 1989 nur schwer begreifen. "Das politische Klima wurde deutlich restriktiver", fasst die Mitarbeiterin des China-Zentrums in Sankt Augustin zusammen. So habe auch der Druck auf die christlichen Kirchen zugenommen als Sammelbecken vermeintlich subversiver Kräfte auch mit Blick auf deren Rolle beim Zusammenbruch des kommunistischen Osteuropa. Ganz falsch lagen die Machthaber mit dieser Einschätzung offenbar nicht. "Der Schock über das Tiananmen-Massaker löste unter einigen Studentenführern eine religiöse Sinnsuche aus", so die Expertin. Das Interesse am Christentum nahm in den Folgejahren stark zu.

Wie die chinesische Führung mit dem bevorstehenden 20. Jahrestag der Proteste umgeht, lässt sich laut Wenzel-Teuber kaum abschätzen. Das ganze Jahr 2009 sei durch eine Abfolge "zwiespältiger Gedenktage" geprägt. Dazu zählt die Chefredakteurin von "China heute" die Niederschlagung des Tibeter-Aufstands am 10. März 1959, aber auch das Verbot der Falun Gong-Bewegung am 22. Juli 1999 oder die Ausrufung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949. Die Lage der Menschenrechte in dem bevölkerungsreichsten Land der Erde dürfte zumindest den auswärtigen Medien noch so manche Extra-Schlagzeile wert sein.