Stuttgarter Notfallseelsorger setzt nach dem Air-France-Absturz auf Zuhören und Nähe

"Große Reden sind nicht gefragt"

Die Unterlippe zittert, hier und da hört man jemanden schluchzen. Die Stimmung ist bedrückt, als sich einige Mitarbeiter der Fluglinie Air France am Dienstagmittag im Andachtsraum des Stuttgarter Flughafens versammeln. Auf dem Altar aus Holz brennen zwei Kerzen, dazwischen liegt eine Bibel. Vor dem Altar stehen Blumen auf dem Fußboden und ein Öllicht.

Autor/in:
Dorothee Kolnsberg
 (DR)

"Liebe Mitarbeiter des Flughafens, liebe Mitarbeiter von Air France, liebe Trauergemeinde", eröffnet der evangelische Flughafenseelsorger Otto Rapp die kurze Andacht. "Viele haben angerufen und um Hilfe gebeten", berichtet er, "wir denken an alle, die einen lieben Menschen vermissen und sich noch nicht vorstellen können, wie das Leben ohne diesen Menschen weitergeht."

"Verlass mich nicht, Herr, mein Gott", betet Rapp mit den Worten eines Psalms. Dann beten die Mitarbeiter gemeinsam für die Helfer und die Angehörigen von Opfern des Air-France-Flugzeugunglücks über dem Atlantik. "Am wichtigsten ist es, für die Betroffenen da zu sein", sagt Rapp, "große Reden sind in der Situation nicht gefragt."

"Ich habe Trauer und Ratlosigkeit erlebt"
Rapp wurde am Pfingstmontag von dem Anruf einer Mitarbeiterin von Air France überrascht. "Ich sollte schnell herkommen. Sie wollte nicht allein sein, wenn die Angehörigen kommen", berichtet Rapp. Also machte er sich so schnell wie möglich auf den Weg. Am Flughafen wurde er dann zu den Angehörigen geleitet. Mehr als ein Dutzend der über 200 Passagiere des Unglücksflugs wurden in Stuttgart erwartet. "Ich habe Trauer und Ratlosigkeit erlebt", erzählt Rapp.

Wichtig sei es, für die Menschen dazusein, ihnen zuzuhören, und auch einfach Getränke und Taschentücher dazuhaben. Außerdem ermuntert Rapp die Menschen, sich weitere Hilfe zu suchen, sei es Kontakt mit dem Pfarrer oder mit Freunden. "Gut ist es, wenn die Menschen das Leid mit ihrem Partner teilen können, oder wenn die Menschen viele Freunde haben."

Was es den Menschen bei dem aktuellen Unglück besonders schwermacht, ist die Vorstellung, dass das Flugzeug vermutlich in großer Tiefe auf dem Meeresgrund liegt. "Das ist vielleicht auch ein Zeichen des Lebens und für die Unendlichkeit", meint Rapp. Das Problem für die Angehörigen aber ist, dass sie keinen Ort für ihre Trauer haben. "Andere Kulturen singen Klagelieder, wir machen das eher im Kopf aus und versuchen das zu fassen", sagt Rapp.

"Warum kann Gott das zulassen?"
Auf die schreckliche Nachricht reagieren die Menschen unterschiedlich, berichtet Rapp. Manche schrien und weinten, manche versuchten, ihre Gefühle zu verbergen. Am Pfingstmontag habe niemand seine Gefühle versteckt, auch ein Mann habe geweint.

Fragen wie "Warum kann Gott das zulassen?" begegnen Rapp immer wieder. Er erinnert sich an die Tsunami-Katastrophe. Damals habe er gesagt: "Wenn man fragt, warum Gott die Welle gewollt habe, dann muss man auch fragen, warum es kein Warmsystem gegeben hat und warum die Menschen Hotels so nah an den Strand bauen."

Am Ende der Andacht gibt Rapp den Besuchern die Möglichkeit, ein Teelicht anzuzünden als Zeichen der Verbundenheit mit den Opfern.
"Sie wissen vielleicht, dass das Kreuz für die Auferstehung steht, die hindurchführt in eine Weite, die wir uns noch gar nicht vorstellen können." Mit zitternden Händen stellen die Air-France-Mitarbeiter ihre Kerzen vor dem Altar ab.

26 deutsche Passagiere
15 der wahrscheinlich 26 deutschen Passagiere des seit Montagmorgen über dem Atlantik vermissten Air-France-Flugzeuges wollten nach bisherigen Erkenntnissen von Frankreich aus nach Berlin und Bayern weiterreisen. Wie ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums am Dienstag auf ddp-Anfrage sagte, hatten acht Fluggäste Weiterflüge nach München und einer einen Transfer nach Nürnberg gebucht. Ob die Personen allerdings im Freistaat wohnen, sei bisher nicht bekannt.

Nach Berlin wollten sechs Passagiere. Das bestätigte die französische Fluggesellschaft dem RBB-Sender Radio Berlin 88,8 am Dienstag. Wie der Sender weiter mitteilte, wurde laut Berliner Polizei am Montagabend ein Angehöriger auf dem Flughafen Tegel psychologisch betreut, der auf einen Vermissten gewartet hatte.

An Bord des vermissten Airbus A330-200 befanden sich 216 Passagiere und 12 Besatzungsmitglieder. Das Auswärtige Amt machte am Vormittag noch keine genauen Angaben zu deutschen Opfern. "Wir können nur bestätigen, dass Deutsche auf der Maschine waren", sagte ein Sprecher auf Anfrage.

Suche nach der Ursache
Der Air-France-Flug 447 war am Sonntag um 19.00 Uhr Ortszeit in Rio de Janeiro gestartet und sollte um 11.15 Uhr mitteleuropäischer Zeit am Pariser Flughafen Charles de Gaulle eintreffen. Nach Angaben von Air France flog die Maschine durch eine Zone mit Stürmen und Turbulenzen vor der brasilianischen Küste. Nach einer automatische Meldung aus dem Flugzeug, derzufolge es eine Störung in der Bordelektrik gab, brach der Kontakt ab.

Der Pilotenvereinigung Cockpit zufolge werden Flugunfälle fast nie durch eine einzelne Ursache verursacht. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass nur ein Blitz ein Flugzeug zum Absturz bringe, sagte Cockpit-Sprecher Jörg Handwerg dem Radiosender NDR Info. "In der modernen Verkehrsluftfahrt ist ein Blitzeinschlag allein bisher nicht der ursächliche Grund für einen Absturz gewesen", sagte er.

Zudem halte er es für nicht wahrscheinlich, dass das Flugzeug angesichts seiner Leichtbauweise durch Glasfaserverbundstoffe weniger vor Blitzen geschützt war. Zwar verfüge der Airbus A 330 über "einige" solcher Verbundstoffe, sei aber auch noch "zum guten Teil aus Metall", sagte Handwerg. Die Fluggesellschaft hat die kostenlose Hotline 0033/1 57 02 10 55 für Anrufer aus dem Ausland eingerichtet.