Die Dolmetscherdienste der EU haben Nachwuchssorgen

Sprachenwunder gesucht

500 fest angestellte Dolmetscher beschäftigt die EU-Kommission momentan. Dazu kommen noch 2.700 zugelassene Freie. Ein wichtiger Dienst bei insgesamt 23 Amtssprachen, die in Brüssel gesprochen werden. Und: ein Dienst mit Nachwuchssorgen.

Autor/in:
Martina Gnad
 (DR)

Adriana Pop hat einen Traum. Sie will nach Brüssel. Seit die 26-Jährige im Rahmen ihres Studiums eine Arbeit über die EU-Institutionen geschrieben hat, ist ihr klar, dass sie genau hier arbeiten will, im Herzen der Europäischen Union - und zwar als Dolmetscherin. Dass ihr Traum tatsächlich Wirklichkeit werden könnte, verdankt sie der jüngsten Erweiterungsrunde der EU. Denn Adriana ist Rumänin - und ihre Muttersprache seit 2007 in Brüssel, Straßburg und Luxemburg gefragt wie nie.

Helen Campbell, die beim Dolmetscherdienst der EU-Kommission SCIC für die Nachwuchsgewinnung zuständig ist, wiegelt trotzdem ab. Eine der neuen Sprachen zu können, sei noch keine Garantie für eine Anstellung bei der EU. Denn die nimmt nur die Besten - unabhängig von der Sprachenkombination. Die hohen Qualitätsstandards sind wichtig, denn sie ermöglichen einen reibungslosen Ablauf von Debatten, Verhandlungen und Abstimmungen in einer EU der 23 Amtssprachen. Doch sie werden zunehmend auch zum Problem. Denn zu wenige Hochschulabsolventen erfüllen die Anforderungen der Dolmetscherdienste. Die EU hat Nachwuchssorgen.

Bei den Deutschen hapert es an der Muttersprache
Die Fremdsprachen sind gar nicht das Dilemma, erläutert Carlota Jovani, Referatsleiterin "Dolmetschen Deutsche Sprache". Bei den deutschen Studenten hapert es viel öfter an der Muttersprache. Sprich: Die Nachwuchsdolmetscher verstehen zwar, was in der Fremdsprache gesagt wird, können aber unter Stress und Zeitdruck "bestimmte Dinge nicht in der eigenen Sprache ausdrücken", so Jovani. Denn gedolmetscht wird in der EU nach Möglichkeit stets in die Muttersprache. Im vergangen Jahr organisierten Kommission, Parlament und der Europäische Gerichtshof, die je einen eigenen Dolmetscherdienst unterhalten, zum ersten Mal ein gemeinsames Auswahlverfahren. 100 deutschsprachige Absolventen traten an, erinnert sich Jovani. Nur neun bestanden.

Um die jungen Menschen besser auf den Alltag vorzubereiten, lädt der SCIC jährlich rund 600 Studenten nach Brüssel ein. Sie dürfen zwei Tage lang in die Berufswirklichkeit der Profis hineinschnuppern und selbst während einer Sitzung in den Kabinen das Dolmetschen versuchen - ohne Lautsprecher natürlich, darum werden die Kabinen "dummy booth" genannt. Auch Adriana darf sich zusammen mit rund 20 Studienkollegen einen Tag lang ausprobieren, drei Stunden am Vormittag, zweieinhalb am Nachmittag. Danach ist sie völlig erschöpft. Das Tempo hat sie überfordert, genau wie die vielen medizinischen Fachbegriffe, die in der Sitzung verwendet wurden.
Dass sich die Politiker in Brüssel immer so gut verstehen ist eben kein Pfingstwunder, es ist harte Arbeit.

Größter Dolmetscher- und Übersetzerdienste der Welt
500 fest angestellte Dolmetscher beschäftigt zum Beispiel die EU-Kommission momentan. Dazu kommen noch 2.700 zugelassene Freie. Rund 300 Dolmetscher sind deutschsprachig, 59 davon Beamte. Malta stellt die kleinste Gruppe mit zwei Beamten und sechs Freien. Ein Problem ist das aber nicht. Es gibt zwar weniger Dolmetscher für die exotischen Sprachen, doch diese werden auch seltener angefragt.  Darum sind es gar nicht die Osteuropäer, die von SCIC am intensivsten umworben werden - es sind englische Muttersprachler. Denn diese dolmetschen nicht nur für ihre eigenen Landsleute - sondern für alle. Zum Beispiel beim Retour-System, also dem Dolmetschen in eine gängige Sprache wie Englisch, aus der jemand anderes dann in seine Muttersprache übersetzt. Seit der Osterweiterung ist diese Notkonstruktion noch wichtiger geworden.

12.000 Sitzungstage und gut 140.000 Dolmetschtage zählte allein die Kommission im vergangenen Jahr; 119 Millionen Euro wurden dafür ausgegeben. Weitere 300 Millionen kostete der rund 1.750 Fachkräfte starke Übersetzungsdienst, der 1,8 Millionen Seiten in die Amtssprachen übertrug. Die Kommission stellt damit einen der größten Dolmetscher- und Übersetzerdienste der Welt. Momentan gibt es 506 mögliche Sprachkombinationen in der EU. Zwei davon sind Rumänisch-Englisch und Rumänisch-Italienisch: Adrianas Kombinationen. Sie will sich trotz des Realitätsschocks im "dummy booth" auf jeden Fall bei der EU bewerben. Damit der Traum von Brüssel in Erfüllung geht.