Cannes vergibt die Goldene Palme an Michael Haneke und Christoph Waltz

Zwei Österreicher im Glück

Mit einer Goldenen Palme für die österreichisch-französisch-deutsche Koproduktion "Das weiße Band" gingen am Sonntagabend die 62. Internationalen Filmfestspiele von Cannes zu Ende. Dass die Wahl beim besten Schauspieler auf Christoph Waltz fiel, hatte jedoch niemand vorher so recht für möglich gehalten.

Autor/in:
Barbara Schweizerhof
 (DR)

Der in München geborene und in Wien aufgewachsene Regisseur Michael Haneke bezeichnete den Moment als einen der wenigen im Leben, in dem er sich wahrhaft glücklich fühle. Sein Film zeigt in strengem Schwarz-Weiß die autoritären Strukturen und ihre unheimlichen Wirkungen in einem deutschen Dorf am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Ganz ohne pädagogischen Zeigefinger stellt er die bedrückend wirkungsvolle und gleichzeitig subtile Studie einer patriarchalen Gesellschaft dar, die sich 20 Jahre später in den Faschismus stürzt.

Eine Machtergreifung, wenn auch ganz anderer Art, war das Thema des mit dem Grand Prix, dem zweitwichtigsten Preis des Festivals, ausgezeichneten Films: "Un Prophète" des französischen Regisseurs Jacques Audiard. Die Handlung spielt sich fast ausschließlich in den Mauern eines Gefängnisses ab. Dort arbeitet sich ein junger Häftling vom kleinen Handlanger der organisierten Kriminalität zum mächtigen Paten empor. Zu Anfang so ungebildet wie unerfahren, nutzt er die Ressourcen der Haft, um im Stillen zu lernen - bis er schließlich über seine Lehrmeister, die ihn lange kaum wahrnehmen wollen, triumphieren kann.

Sowohl Michael Haneke als auch Jacques Audiard hatten als Favoriten für eine Auszeichnung gegolten. Dass die Wahl der Jury unter dem Vorsitz der französischen Schauspielerin Isabelle Huppert beim besten Schauspieler ausgerechnet auf den Österreicher Christoph Waltz fiel, hatte jedoch niemand vorher so recht für möglich gehalten. Denn Waltz spielt in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" einen "Judenjäger" und SS-Mann, eine zutiefst frivole Rolle, gerade weil sie Sadismus, Eleganz und große Bildung - er spricht drei Fremdsprachen fließend - in sich vereint.

Die Kritik in Cannes war sich darin einig, dass der durch viele Fernsehrollen in Deutschland bekannte Waltz mit seinem furiosen Auftritt im ansonsten sehr reserviert aufgenommen Tarantino-Film sogar Hollywood-Star Brad Pitt die Schau stiehlt.

Und die Krise?
Wo die Reaktionen auf Waltz' Gewinn etwas verhalten waren, gab es viel Applaus für die Französin Charlotte Gainsbourg, die zur besten Schauspielerin gekürt wurde. Und das, obwohl der Film, indem sie auftritt, Lars von Triers "Antichrist", wie kein anderer das Festivalpublikum spaltete. Die sonst meist in netten und mädchenhaften Rollen besetzte Gainsbourg, Tochter der Schauspielerin Jane Birkin und der französischen Musiker-Legende Serge Gainsbourg, geht beim Dänen Lars von Trier über ihre Grenzen und entblößt unvermutet grausame und gewaltsame Seiten. Ihre Dankesworte im großen Palais von Cannes schloss sie, wieder ganz in der Rolle der schüchternen Sanften, mit einer Referenz an ihren verstorbenen Vater ab, der die Anwesenden zu Tränen rührte.

Auf weniger Zustimmung von Seiten der Kritik stieß die Entscheidung für die beste Regie: Der Philippiner Brillante Mendoza hatte mit seinem düsteren Polizei- und Morddrama "Kinatay" die Zuschauer nachhaltig verstört. Mit weiteren Preisen für den im Untergrund gedrehten chinesischen Film "Spring Fever" von Lou Ye, dem Pubertätsdrama "Fisk Tank" der Britin Andrea Arnold und dem Vampir-Film "Thirst" des Koreaners Park Chan Wook bewies die Jury in diesem Jahr allerdings große Offenheit für die diversen und eben auch umstrittenen Genrerichtungen des internationalen Autorenfilms.

Und die Krise? Immer wieder wurde nach ihr gefragt, aber letztlich erwies sie sich als die große Abwesende. Auch wenn so mancher Empfang bescheidener ausfiel und Yachtvermieter über mangelnde Auslastung klagten, zeigte sich das Filmprogramm auf künstlerisch hohem und angenehm abwechslungsreichem Niveau. Vielleicht ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis der Sparzwang, den Filmverleiher und -verkäufer durchaus bereits spüren, seine Wirkung auch auf der kreativen Seite entfaltet. Dann werden die 62. Filmfestspiele von Cannes vielleicht als einer der letzten wirklich großen Jahrgänge in die Filmgeschichte eingehen.

Ken Loach erhält den Ökumenischen Preis in Cannes 2009

Der Altmeister des sozial engagierten Kinos, der britische Regisseur Ken Loach (72), hat bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes (13.-24. Mai 2009) den Preis der Ökumenischen Jury erhalten. In dem ausgezeichneten Film „Looking for Eric" erzählt Loach mit viel Humor die Geschichte eines Postbeamten und Fußballfan, dessen Leben aus den Fugen gerät, bis der legendäre Fußballstar Eric Cantona aufkreuzt und ihm zur Seite steht. Die Jury würdigte den Film „für seine herausragende künstlerische Qualität und seinen humorvollen, optimistischen und humanen Blick auf die Krise der heutigen Gesellschaft. Der Film" - so die Jury - „zeichnet ein Bild von Werten, die heute oft in Frage gestellt werden, wie Freundschaft, Solidarität, die Bedeutung der Familie und der Dialog mit dem eigenen Selbst und dem Anderen. Der mythische Fußballstar Eric Cantona fasst das Thema in dem Satz zusammen: „Meine größte Leistung war nicht ein Tor, sondern ein Zuspiel."

Mit Loach wurde ein Regisseur ausgezeichnet, der von kirchlichen Jurys schon mehrfach prämiert worden ist, u.a. in Cannes, Berlin und Venedig. 2004 hatte Loach von der Ökumenischen Jury in Cannes einen Sonderpreis für sein Lebenswerk erhalten.

Mit einer Lobenden Erwähnung bedacht die Jury den Film, der am Ende auch die Goldene Palme errang: Michael Hanekes „Das weiße Band". Der in einem norddeutschen Dorf am Vorabend des Ersten Weltkrieges spielende Film untersucht die Ursachen von Unterdrückung und Gewalt. Die Jury erklärte dazu: „Tiefgründig, von filmischer Schönheit und handwerklicher Meisterschaft, hat dieser Film uns alle ergriffen. Er gemahnt uns an unsere innere Gewaltneigung, die gesellschaftliche und politische Gewalt hervorbringt."

Unter dem Vorsitz des rumänisch-französischen Regisseurs Radu Mihaileanu („Zug des Lebens") wirkten in der Ökumenischen Jury mit: Serge Molla (Schweiz), Alina Birzache (Rumänien), Federico Pontiggia (Italien), Claudette Lambert (Kanada) und Jean-Michel Zucker (Frankreich).