Bischof Stephan Ackermann zu Afghanistan, Rüstung und Dritter Welt

"Gute Entwicklungspolitik braucht eigenes Ministerium"

Seit gut einem Jahr ist Stephan Ackermann Vorsitzender der Deutschen Kommission "Justitia et Pax". Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur erläutert der künftige Bischof von Trier die Arbeitsschwerpunkte der Organisation, die von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken getragen wird. Er fordert den Erhalt eines eigenständigen Entwicklungsministeriums.

Autor/in:
Christoph Arens
Bußakt der Bischöfe im März - Bischof Ackermann kündigt Zeichen der Umkehr an (KNA)
Bußakt der Bischöfe im März - Bischof Ackermann kündigt Zeichen der Umkehr an / ( KNA )

KNA: Herr Bischof, Sie beklagen eine völlig unzureichende Diskussion über Außen- und Sicherheitspolitik in Deutschland. Worauf führen Sie das zurück?
Ackermann: Mit der Wiedervereinigung 1990 erst hat die Bundesrepublik die volle Souveränität erlangt; und damit sind auch die internationalen Anforderungen an unser Land gestiegen. Nach Jahrzehnten außenpolitischer Zurückhaltung sind wir gefordert, mehr Verantwortung in der internationalen Gemeinschaft zu übernehmen.
Zugleich hat sich aus unserer Geschichte heraus völlig zurecht ein kritisches Verhältnis zum Einsatz militärischer Mittel entwickelt.
Dieses Potenzial konstruktiver Kritik, das die Spielräume für ziviles politisches Handeln stärken könnte, ist aber noch nicht ausgeschöpft.

KNA: Wer sollte in die Debatte einbezogen werden?
Ackermann: Die Diskussion leidet darunter, dass man die ungeliebte Realität militärischer Auseinandersetzung entweder den Fachkreisen und den Militärs überlässt oder mit populistischen Vereinfachungen aufwartet. In Demokratien sind nur solche Politiken auf lange Sicht durchzuhalten, die in den Überzeugungen der Mehrheit verankert sind.
Daher ist der mühselige Weg der Auseinandersetzung um Konzepte und verantwortbare Konsequenzen angeraten. Wichtig ist auch, dass vor allem Jugendliche über internationale Begegnungen und Austausch einen Blick für Zusammenhänge bekommen. Eine stärkere Verankerung
außen- und sicherheitspolitischer Themen in schulischen Lehrplänen, in außerschulischer Bildung und nicht zuletzt in den Medien wären wichtige Bausteine.

KNA: Deutschland ist nach wie vor in Afghanistan engagiert, und die USA fordern einen höheren Einsatz der Partner. Welche Strategie halten Sie für angemessen?
Ackermann: Ohne die Sicherung einer demokratisch legitimierten staatlichen Gewalt ist dort sicher auf lange Sicht kein Friede zu gewinnen. Notwendig ist deshalb ein gut durchdachter Mix aus zivilen und militärischen Maßnahmen. Es muss darum gehen, die Räume für zivile Mittel zu sichern und zu erweitern.

KNA: Zeigt die wachsende Macht der Taliban nicht, dass hartes militärisches Eingreifen notwendig ist?
Ackermann: Der Einsatz militärischer Mittel ist wegen der langen negativen Auswirkungen von Gewalt immer ein Übel. Es ist, wie wir auch im Irak gesehen haben, einer der großen Trugschlüsse, zu glauben, dass die Lösung im massiven Militäreinsatz besteht.
Trotzdem gibt es Situationen, in denen ein solcher Einsatz das geringere Übel darstellen kann. Wer einem verstärkten Einsatz von Streitkräften in Afghanistan das Wort redet, der muss die Frage beantworten, welche Vorkehrungen er trifft, um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen und welche Perspektiven zur Überwindung militärischer Gewalt er sieht. Wahrscheinlich wird man um Auseinandersetzungen in der NATO nicht herum kommen. Nur ein Gesamtkonzept, das im Kern auf einer zivilen politischen Perspektive beruht, bietet Aussicht auf Erfolg.

KNA: Bei den Rüstungsexporten und speziell beim Rüstungsexport in Entwicklungsländer ist Deutschland auf einem Spitzenplatz. Was erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung und von einem neu gewählten Bundestag?
Ackermann: Ich erwarte von Regierung und Bundestag eine Umsetzung der eigenen politischen Richtlinien zur Rüstungsexportkontrolle und des entsprechenden EU-Verhaltenskodex: Also keine Lieferung in
Krisen- und Konfliktregionen, in Länder, die Menschenrechte systematisch verletzen, keine Rüstungslieferungen, die in Empfängerländern dringend benötigte Ressourcen für Entwicklung binden. Ethisch entscheiden bedeutet auch, sich selbst an die Beachtung ethischer Kriterien zu binden, das heißt auch notfalls Nachteile in Kauf zu nehmen und nicht nach dem Motto zu handeln, wenn wir nicht liefern, machen andere das Geschäft.

KNA: Gibt es dafür konkrete Beispiele?
Ackermann: Ein für mich völlig unakzeptables Beispiel ist das U-Boot-Geschäft mit Pakistan. Da erwarte ich einen Widerruf des positiven Bescheids auf die Voranfrage und die Rücknahme der Finanzierungszusage über Hermes-Kredite. Pakistan ist Krisenregion, Entwicklungsland und verletzt Menschenrechte. In diesem Fall entscheidet der Bundessicherheitsrat politisch leichtsinnig und gegen selbst gesetzte Kriterien. Generell brauchen wir eine zeitnähere und inhaltlich aussagekräftige Berichterstattung der Bundesregierung und eine schnellere Beratung bei schwierigen Fällen im Parlament. Auch die Kontrolle der privaten Sicherheitsunternehmen, des modernen Söldnerwesens, wartet noch immer auf eine Regelung.

KNA: Immer wieder kommt die Forderung auf, das Entwicklungsministerium zu schließen und dessen Aufgaben in das Außenministerium zu integrieren. Halten Sie das für sinnvoll?
Ackermann: Noch immer leben über 900 Millionen Menschen weltweit in Hunger, Elend und Ausgrenzung, und zur Zeit wächst die Zahl wieder.
Das darf nicht sein. Deshalb muss Armutsbekämpfung das überwölbende Ziel der Entwicklungspolitik bleiben. Dafür liegt das Know-how beim Entwicklungsministerium. Dort gibt es auch eine profunde Kenntnis der Voraussetzungen in Partnerländern und der Kooperationspartner in Deutschland wie etwa der weltkirchlichen Werke. Wir merken die Risiken einer Verlagerung beispielsweise, wenn das Auswärtige Amt Mittel für zivile Krisenvorbeugung vergibt: Die kennen die Akteure nicht so gut, die Vergabepraxis ist wenig transparent, und die Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen muss erst aufgebaut werden. Eine Entwicklungsabteilung im Auswärtigen Amt droht zudem von außenpolitischen Interessen dominiert zu werden.
Eine gute Entwicklungspolitik braucht ein gut aufgestelltes eigenes Ministerium.

KNA: Entwicklungsexperten beklagen hohe deutsche Exportsubventionen zum Schaden der Entwicklungsländer, etwa durch Subventionen für Milch. Stimmen Sie der Kritik zu?
Ackermann: Nicht nur in Europa klagen die Milchbauern über Preisverfall. Auch in Ländern des Südens, in denen jahrzehntelang versucht wurde, durch Züchtung der Milchkühe, Verbesserung der Infrastruktur oder Förderung der Investitionen von Molkereiunternehmen zur Ernährungssicherheit und Armutsbekämpfung beizutragen, werden diese Klagen erhoben. Die Bestrebungen der EU-Politik, die Exportkapazitäten für Milch zu erweitern, verstärken den Wettbewerbsdruck auf die Milchbauern auf der ganzen Welt. Die einheimische Produktion wird zunichte gemacht und der Aufbau eigener Strukturen behindert.

KNA: Die Situation der deutschen Bauern ist eine andere...
Ackermann: Die höhere Milchproduktion gibt den Bauern hierzulande auch keine Einkommenssicherheit. Hier erfolgt die Machtkonzentration bei den Handelsketten. Milch ist leicht verderblich. Sie ist prädestiniert dafür, in lokalen Strukturen erzeugt und vermarktet zu werden. Die kirchliche Entwicklungspolitik plädiert für eine Milch- und Nahrungsmittelproduktion, die in Konzepte nachhaltiger ländlicher Entwicklung eingebettet ist. Solche Konzepte sind auch für die Gestaltung einer zukunftsorientierten EU-Agrarpolitik vonnöten. Die Abschaffung von Exportsubventionen, die gesunde Verknappung des Angebots auf die Nachfrage des europäischen Marktes hilft den Milchbauern in Nord und Süd, den Preisverfall zu verhindern und dem Druck der Handelsketten zu begegnen. Die Umorientierung der Agrarpolitik muss durch bildungs-, arbeits- und finanzpolitische Maßnahmen unterstützt werden.