Bundestag beschließt Bedenkzeit vor Spätabbrüchen - Kirche kritisiert

Ein Schritt in die richtige Richtung

Die katholische Kirche hat den Initiatoren der Gesetzesänderung zur Spätabtreibung gedankt und zugleich den Bundestagsbeschluss als unzureichend kritisiert. Es sei bedauerlich, "dass der grundsätzlichen Kritik der Kirche an der geltenden Rechtslage durch diese Änderungen nicht Rechnung getragen worden ist", sagte der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Prälat Karl Jüsten, am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Nach wie vor seien Abtreibungen bis zur Geburt auch ohne eine akute Lebensgefahr für die Mutter möglich.

 (DR)

Der Prälat sieht die Kritik der Kirchen an der Ausweitung der medizinischen Indikation auf die Fälle einer Behinderung des Ungeborenen durch die Reform des Paragrafen 218 bestätigt. In der Bundestagsdebatte sei mehrach betont worden, dass die Behinderung eines ungeborenen Kindes kein Grund für eine Abtreibung sein könne.

Jüsten sprach von einer «sehr ernsthaften» Debatte, die von gemeinsamen Zielen geprägt gewesen sei. Nach der Entscheidung des Parlaments, eine mindestens dreitägige Bedenkzeit einzuführen und für mehr qualifizierte Beratung zu sorgen, sollten jene diese Normen mit Leben füllen, die Mütter und auch Väter in entsprechenden Situationen begleiteten. Die Abgeordneten hätten sich mit der Willensbekundung, Familien mit behinderten Kindern mehr Hilfen zu gewähren, «selbst verpflichtet und Aufgaben für die Zeit nach der Wahl aufgezeigt».

Verbände loben Beschluss
Die neuen gesetzlichen Regelungen zu Spätabtreibungen stoßen bei christlichen Verbänden und Politikern auf ein weitgehend positives Echo. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans Joachim Meyer, nahm das Ergebnis mit Genugtuung zur Kenntnis. Kritik kam von der Aktion Lebensrecht für alle (ALfA). Der Schutz ungeborenen Lebens habe weiterhin keine Lobby im Bundestag, erklärte die ALfA-Bundesvorsitzende Claudia Kaminski in Köln.

«Dieser Beschluss wird dem Schutz des Lebens und dem Beistand der Eltern in ihrer Notsituation dienen», sagte Meyer am Donnerstag in Bonn. Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende der Frauen Union, Maria Böhmer (CDU), in Berlin.

Als Spätabtreibung gelten Abbrüche ab der 23. Schwangerschaftswoche. In aller Regel stehen sie im Zusammenhang mit einer Behinderung oder mangelnder Lebensfähigkeit des Kindes. Der Bundestag hatte am Mittwochabend strengere Auflagen beschlossen. Demnach ist eine mindestens dreitägige Bedenkzeit zwischen Diagnose und Abbruch vorgeschrieben. Zudem müssen Ärzte Frauen auf psychosoziale Beratung hinweisen. Die Änderungen am Schwangerschaftskonfliktgesetz von 1995 sollen zum Jahreswechsel in Kraft treten. Der Paragraf 218 zum Schwangerschaftsabbruch wird durch die Änderungen nicht angerührt.

Die Kirchenbeauftragte der Unionsfraktion, Ingrid Fischbach, wertete die Reform als Schritt in die richtige Richtung. «Eltern, die erfahren, dass ihr Kind, auf das sie sich sehr freuen, schwer krank oder behindert ist, brauchen breite gesellschaftliche Unterstützung», sagte die Politikerin. Die bayerische Familienministerin Christine Haderthauer (CSU) zeigte sich erfreut, dass es noch vor Ablauf der Legislaturperiode zu einer Einigung gekommen sei. Der Schutz des ungeborenen Lebens eigne sich nicht als Wahlkampfthema.

Der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK), Thomas Rachel, sieht mit den neuen Regeln den Kurs von Kirchen und Behindertenverbänden bestätigt, wonach die mögliche Behinderung eines Kindes noch keine Rechtfertigung für einen Schwangerschaftsabbruch darstelle. Einem «bedenklichen Abtreibungsautomatismus» sei nun ein Riegel vorgeschoben worden.

Zustimmend äußerte sich auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd). Durch eine intensivere Beratung könne die Schwangerschaft «wieder mehr eine Zeit der ,guten Hoffnung' sein und nicht eine Phase der ,Risikoabschätzung'», sagte die kfd-Bundesvorsitzende Maria Theresia Opladen. Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) forderte weitere Konsequenzen aus der Gesetzesänderung. Jetzt müssten Unterstützungsangebote für betroffene Eltern und deren Kinder ausgebaut werden.

Als enttäuschend werteten die Christdemokraten für das Leben (CDL) den Ausgang der Debatte. Nicht einmal für eine genaue statistische Erfassung hätten die Abgeordneten votiert, beklagte die CDL-Bundesvorsitzende Mechthild Löhr. Im Tierschutz sei die Erhebung von Daten eine Selbstverständlichkeit, beim Schutz des Lebens komme es in diesem Bereich zu keiner Einigung. «Damit stellt der Staat das legitime Lebensrecht von Behinderten bis zur Geburt weiterhin unkontrolliert zur Disposition», sagte Löhr.