Notfallseelsorger treffen sich zum bundesweiten Kongress

Das schwarze Loch füllen

Der Amoklauf von Winnenden, der Einsturz des Kölner Stadtarchivs, das ICE-Unglück in Eschede - manchmal kann ein kurzer Moment das ganze Leben verändern. "Von einer Sekunde zur nächsten. Brüche und Perspektiven" ist der diesjährige Bundeskongress der Notfallseelsorger überschrieben. Am Montag treffen sich in Berlin zum zwölften Mal die Menschen, die im Katastrophenfall neben Notarzt und Feuerwehr vor Ort sind und sich um die Opfer kümmern.

 (DR)

Ein eher ungewöhnliches Thema ist Schwerpunkt der Tagung: die Wende. «Der Fall der Mauer vor 20 Jahren hat Spuren bei den Menschen hinterlassen», so Justus Fiedler, Beauftragter für Notfallseelsorge in Berlin. Über den Zusammenbruch eines Systems und den Umgang mit Brüchen im Leben diskutieren die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Notfallseelsorge drei Tage. Denn im Grunde ist das Thema beispielhaft für die Aufgabe der Notfallseelsorger: Menschen beim Verarbeiten helfen, wenn plötzlich nichts mehr so ist wie vorher.

Außer historischen Themen geht es auch um neue Erkenntnisse in der psychosozialen Notfallversorgung und der Nachsorge bei Einsätzen. Ein besonderer Fokus liegt auf der interkulturellen Seelsorge. Fiedler: «Gerade in einer Stadt wie Berlin, in der so viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammen kommen, ist es wichtig, einander kennenzulernen.» Ismail Tuncay von der Islamischen Notfallseelsorge wird deshalb von seinen Einsätzen in der Hauptstadt erzählen.

Notfallseelsorge ist ein Angebot für Menschen in akuten Notsituationen. Sie gilt als «Erste Hilfe für die Seele».
Ehrenamtliche Mitarbeiter arbeiten überkonfessionell und helfen Menschen jeder Weltanschauung. Sie stehen Opfern und Angehörigen bei Unfällen, Gewalttaten oder Umweltkatastrophen zur Seite; aber auch in Fällen erfolgloser Reanimation, eines plötzlichen Kindstods, Selbstmordversuchen oder nach Erfahrungen von Gewalt.

«Er hat doch noch geatmet». Auf Fragen dieser Art müssen die Notfallseelsorger eine Antwort finden. Ein Blick in das «Merkblatt bei einem häuslichen Todesfall» zeigt, wie vielschichtig die Aufgaben sein können. Notfallseelsorger müssen sich auf medizinische Fragen («Er hat sich doch bewegt») ebenso vorbereiten wie auf Organisatorisches («Kann ich den Toten noch mal sehen?»). Rituelle Handlungen dienen als Hilfestellung: Kerzen anzünden, ein Kreuz aufstellen, Psalmen lesen, beten, die Hand auflegen und eine Salbung sind «keine Sakramente und können ohne Ansehen der Konfessionszugehörigkeit erteilt werden», heißt es in der Broschüre.

«Notfallseelsorge und Krisenintervention ist eine wichtige, ureigene Aufgabe der Kirche», erklärt der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky in einem Grußwort. Gemeinsam mit seinem evangelischen Amtsbruder Bischof Wolfgang Huber und dem Berliner Innensenator Erhart Körting (SPD) ist er Schirmherr der Veranstaltung.

Einrichtungen der Notfallseelsorge gibt es in allen evangelischen und katholischen Kirchen Deutschlands. Nach offiziellen Angaben sind bundesweit 11.000 Notfallseelsorger jährlich 30.000 mal im Einsatz. Den Dienst leisten überwiegend ehrenamtliche Seelsorger, die eine Zusatzqualifikation in Notfallseelsorge erworben haben. Veranstalter der Konferenz, zu der 250 Teilnehmer erwartet werden, sind die Akademie Bruderhilfe Familienfürsorge und die Konferenz evangelische Notfallseelsorge.