In Birma steht der Wiederaufbau ein Jahr nach dem verheerenden Wirbelsturm "Nargis" erst am Anfang

Leben unter Plastikplanen

Die Kokos-Palmen ächzen im Wind, als Saw das Dorf Amat ka Lay erreicht. Es ist der 2. Mai 2008, gegen Mittag. Der Entwicklungshelfer will im Irrawaddy-Delta in Birma (Myanmar) eine Bootsanlegestelle prüfen. Er wundert sich über vorbeifliegende Enten, die sonst ziemlich flugscheu sind. Dann tost "Nargis" los. Mit mehr als 190 Stundenkilometern fegt der Zyklon über die Küstenregion. 140.000 Menschen sterben, mehr als 800.000 werden obdachlos. Ein Jahr nach der Katastrophe steht der Wiederaufbau erst am Anfang.

 (DR)

Als der Wind sich damals legte, gab das Wasser ein Bild der Verwüstung frei. 450.000 Häuser sind zerstört, eben so viele schwer beschädigt. Überall liegen Leichen, ganze Dörfer sind ausgelöscht. Die Überlebenden hatten Glück. Viele klammerten sich an Palmen oder Brückengeländer. Saw rettete sich in das Obergeschoss eines Reislagers, wo der 34-Jährige gemeinsam mit 100 anderen Männern, Frauen und Kindern 18 Stunden lang ausharrte. «Wir waren eine Art Arche Noah», sagt der Mitarbeiter des Hilfswerks deutscher Adventisten, ADRA, im Rückblick.

Erst spät lassen die Militärs, die Birma seit 1962 regieren, internationale Hilfe ins Land. Die Abstimmung über eine neue Verfassung zugunsten der Generäle soll nicht gestört werden. Dann endlich kommt die Nothilfe voll in Gang. Organisationen bringen überlebenswichtige Grundnahrungsmittel ins Land. Monate später kann der Wiederaufbau beginnen.

Ein Jahr nach der Katastrophe fällt die Bilanz ernüchternd aus: «Bis heute sind eine Viertelmillion Menschen ohne sauberes Trinkwasser», sagt Peter Rottach von der Diakonie Katastrophenhilfe in Stuttgart. Erst ein Prozent der zerstörten Gebäude sei wieder aufgebaut. «Die meisten Menschen leben in Notunterkünften, die sie aus gespendeter Plastikfolie errichten.»

Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln bleibt schwierig. Die Reisernte fiel nach dem Sturm um fast 50 Prozent geringer aus als im Durchschnitt. «Der Boden ist versalzen, es mangelt an Saatgut», erklärt Rottach. Zudem ertranken nach Schätzungen der Welternährungsorganisation 125.000 Zugtiere in den Fluten.

Für Moritz Wohlrab, Sprecher der «Aktion Deutschland Hilft», steht fest: «Nargis traf die Menschen völlig unvorbereitet.» Ein wichtiges Ziel des Wiederaufbaus sei deshalb die Katastrophenvorsorge. Die Hilfsorganisation World Vision, wie ADRA eines von zehn Mitgliedern der Aktion, setzt sich deshalb dafür ein, dass in jedem Ort mindestens ein sicheres Gebäude steht.

Die Diakonie Katastrophenhilfe setzt ebenfalls auf Vorsorge.
«Dasitzen und warten, dass etwas Schlimmeres passiert, wäre sowohl unmenschlich als auch unökonomisch», sagt Rottach. Jeder Euro, der in Vorsorge investiert werde, könne bis zu zehn Euro einsparen helfen, die im Katastrophenfall nötig würden. Das evangelische Hilfswerk fördert daher den Bau von Schutzgebäuden und Frühwarnsystemen ebenso wie das Anlegen von Mangrovenwäldern und eine dezentrale Energieversorgung.

Wie wichtig Vorsorge ist, zeigt eine Studie der britischen Organisation Oxfam. Sie hat 6.500 klimabedingte Naturkatastrophen untersucht. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Zahl der Betroffenen hat sich auf 243 Millionen pro Jahr verdoppelt. Die UN schätzen, dass 2050 jährlich 100.000 Menschen durch Naturereignisse sterben. Schon heute kommen 97 Prozent der Katastrophenopfer aus armen Ländern des Südens.

In Birma wird für den Wiederaufbau in den kommenden drei Jahren nach Angaben der UN noch eine Milliarde US-Dollar benötigt. «Wir hoffen, dass das Militärregime uns weiterhin gewähren lässt», sagt Wohlrab. Heute könnten die Organisationen deutlich freier arbeiten, als unmittelbar nach der Katastrophe. Diese Einschätzung teilt auch sein Kollege Rottach von der Diakonie Katastrophenhilfe. Mehr wollen beide nicht sagen, um ihre Arbeit nicht zu gefährden.

Auch Saw hilft beim Wiederaufbau in der Region: «Ich wollte so schnell wie möglich jenen Menschen helfen, die alles verloren haben.» Seine Schwimmweste behält er dabei immer an.