Kirchen: Berlin braucht ordentlichen Religionsunterricht

Endspurt um Gunst der Wähler

Die beiden großen Kirchen in Berlin haben dazu aufgerufen, am Sonntag beim Volksentscheid über den Religionsunterricht mit "Ja" zu stimmen. Auch viele Eltern, die ihre Kinder nicht zum Religionsunterricht schickten, glaubten, dass es eine Wahl zwischen den Fächern Religion und Ethik geben müsse, sagte der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky am Mittwoch vor Journalisten in Berlin.

 (DR)

Mit Blick auf eine Äußerung des Berliner Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, er wolle die Kirchen als Partner nicht verlieren, erklärte der Kardinal: «Wenn die Kirchen Partner sein sollen, müssen sie es auf gleicher Augenhöhe sein.»

Der Berliner evangelische Bischof Wolfgang Huber hob hervor, der Respekt vor den Schülern gebiete es, dass der Religionsunterricht fair und gleichberechtigt behandelt werde. Der Hinweis des Senats, die Schüler könnten den Religionsunterricht ab der siebten Klasse zusätzlich zum Ethikunterricht wählen, verkenne die reale Situation an den Schulen, die schon so mit viel zu vollen Stundenplänen kämpften.

Religion als ordentliches Lehrfach sei ein «zukunftsweisendes Modell» und für die multikulturelle Stadt Berlin der richtige Weg, sagte Huber. Die Kampagne von «Pro Reli» habe gezeigt, dass Religion in Berlin ein öffentliches Thema ist, sagte Huber weiter. Er wies den von der Initiative «Pro Ethik» vertretenen Vorwurf zurück, ein getrennter Unterricht führe zur Aufspaltung von Schulklassen. Die ideologische Behauptung, durch den Religionsunterricht entstünden konfessionelle Ghettos, sei nicht wahr. Dieser mache die Schüler vielmehr sprachfähig und lege die Basis dafür, andere Religionen zu verstehen.

Der Vorsitzende der Initiative «Pro Reli», Christoph Lehmann, bezeichnete die am Montag vom Senat in den Berliner Tageszeitungen abgedruckten Anzeigen als «politischen Skandal» und «schweren Rechtsverstoß». Es sei juristisch nicht zulässig, Steuermittel für eine eigene Kampagne zu verwenden. Gleichzeitig enthalte die Anzeige mehrere unwahre Aussagen.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof sprach sich unterdessen für einen bundesweiten parallelen Religions- und Ethikunterricht aus. Religion und Ethik könne man nur zusammen denken, beide seien wichtige Quellen des bundesdeutschen Rechts, sagte der frühere Juraprofessor am Dienstagabend in der Berliner Humboldt-Universität. Zuletzt hatte sich auch der Reformpädagoge Hartmut von Hentig für einen gleichzeitigen Unterricht von Religion und Ethik ausgesprochen.

Weniger Briefwahlanträge als bei Tempelhof-Abstimmung
Das Interesse der Berliner Bürger wenige Tage vor dem Volksentscheid ist geringer als im vergangenen Jahr bei der Abstimmung über die Schließung des Flughafens Tempelhof. Bis Dienstagabend seien 167.422 Personen und damit rund 70.000 weniger Briefwahlanträge als damals eingegangen, sagte Landeswahlleiter Andreas Schmidt von Puskás am Mittwoch in der Bundeshauptstadt.

Das sei ein «auffällig geringeres Interesse», auch wenn sich daraus noch kein Trend ablesen lasse, so Schmidt von Puskás weiter. «Vielleicht gehen ja dieses Mal mehr Leute ins Wahllokal.» Ein erstes Ergebnis der Abstimmung werde am Sonntag nicht vor 20.30 Uhr erwartet, auf Hochrechnungen werde verzichtet.

Für einen Erfolg des Volksentscheids müssen nach bisherigem Stand rund 612.000 der wahlberechtigten Berliner mit «Ja» stimmen. Aufgerufen sind 2,45 Millionen stimmberechtigte Berliner, etwa 7.000 mehr als beim Volksentscheid über Tempelhof. Die 1.246 Wahllokale sind zwischen 8 und 18 Uhr geöffnet.

Die Berliner sind aufgerufen, in einem Volksentscheid über die Einführung eines Wahlpflichtbereiches Ethik/Religion an den Schulen abzustimmen. Seit 2006 wird auf Betreiben des rot-roten Senats das Pflichtfach Ethik ab der siebten Klasse unterrichtet, Religionsunterricht kann zusätzlich freiwillig besucht werden. Bei einem Erfolg der Initiative «Pro Reli», die von den großen Kirchen unterstützt wird, würden Schüler künftig zwischen Ethik und Religion wählen.
Die Gesamtkosten für die Abstimmung bezifferte Schmidt von Puskás auf rund zwei Millionen Euro, die entstehenden Mehrkosten, weil der Volksentscheid nicht mit der Europawahl sechs Wochen später zusammengelegt wurde, auf etwa 1,2 Millionen Euro. Für die Aufwandsentschädigung der bei der Europawahl eingesetzten Wahlhelfer kommt beispielsweise der Bund auf.