Beim Volksentscheid in Berlin geht es um den Status des Religionsunterrichts an Schulen

Glaubensfrage Religionsunterricht

Die einen fordern endlich "Wahlfreiheit" und "Toleranz", die anderen sehen sie bedroht und wenden sich gegen "Wahlzwang". Seit Monaten wird in Berlin über die Stellung des Religionsunterrichtes gestritten, manche sehen darin bereits einen "Kulturkampf" von bundesweiter Bedeutung. Und in Berlin erinnert die Plakatierung an einen Bundestagswahlkampf. Lukas Philippi stellt die unterschiedlichen Positionen vor.

Autor/in:
Lukas Philippi
Berlin: Start der Kampagne "Pro Reli" (epd)
Berlin: Start der Kampagne "Pro Reli" / ( epd )

Zu dieser öffentlichen Debatte wesentlich beigetragen hat die Initiative «Pro Reli». In einem Volksentscheid am 26. April steht nun ihr Gesetzentwurf zur Einführung eines Wahlpflichtbereiches Ethik/Religion an Berliner Schulen zur entscheidenden Abstimmung. Dabei wird sie maßgeblich von den beiden großen Kirchen und den bürgerlichen Oppositionsparteien CDU und FDP unterstützt.

Wenn Werner von Knoblauch aus seinem Fenster schaut, hat er die gegensätzlichen Standpunkte buchstäblich vor Augen. Knoblauch ist Küster in der Emmauskirche am Lausitzer Platz im Stadtteil Kreuzberg. Direkt davor hat «Pro Reli» zwei Großwandplakate aufstellen lassen. Darauf wird für «Freie Wahl zwischen Ethik und Religion» geworben. Gleich daneben steht ein ebenso großes: «Religion oder Ethik? Wir machen beides!»

Damit plädiert die SPD zusammen mit ihrem Koalitionspartner «Die Linke» und dem «Bündnis pro Ethik» für den Status quo: Pflichtfach Ethik ab der siebten Klasse und freiwilliger Religionsunterricht, zwar weitgehend vom Staat finanziert, aber angeboten in alleiniger Verantwortung von inzwischen acht Konfessionen oder Weltanschauungsgemeinschaften.

Bei einem Erfolg von «Pro Reli» würde sich Berlin den meisten anderen Bundesländern annähern, wo der Religionsunterricht immer ordentliches Lehrfach geblieben ist. In Berlin ist dies seit mehr als sechs Jahrzehnten nicht mehr der Fall. Außer Bremen ging - nach der deutschen Vereinigung - nur Brandenburg ebenfalls einen eigenen Weg. Mit dem Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) stand das Nachbarland sogar Pate für das 2006 in Berlin eingeführte Pflichtfach Ethik.

Die Argumente «pro» und «contra» sind in den vergangenen Monaten ausgiebig ausgetauscht worden. Das Ende Januar beendete Volksbegehren sorgte als Vorstufe für den Volksentscheid für eine rekordverdächtige Beteiligung von rund 308.000 Unterschriften.

Auch in der Emmauskirche ist kräftig für «Pro Reli» geworben worden. Aber in der Gemeinde gibt es offenbar auch andere Meinungen. «Wer so herum denkt, darf so denken. Wer anders denkt, darf auch anders denken», sagt von Knoblauch. Diese Toleranz ist aber offenbar in den Gemeinden nicht überall gleichermaßen vorhanden. Zumindest in Einzelfällen bekamen das sowohl Befürworter von «Pro Reli» als auch die Initiative «Christen pro Ethik» zu spüren.

Auf katholischer Seite sind solche internen Auseinandersetzungen bislang nicht bekanntgeworden. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Hans-Joachim Meyer, gab sich zuletzt entspannt:
«Nichts liegt mir ferner als ein Verständnis von Kirche, die bei politischen Fragen als geschlossene Kolonne durchs Land laufen muss.»

Der Streit geht unter anderem um die unterschiedliche Bewertung von authentischem Werteunterricht - und um die Frage, wie sehr darin über die Weltreligionen informiert werden darf oder soll. Zudem wird über die Frage gestritten, welcher Weg der beste für die Integration von Schülern unterschiedlicher Herkunft in einer Stadt mit hohem Migrantenanteil ist. Und schließlich wird die Volksabstimmung auch über die Stellung der beiden großen Kirchen in der Gesellschaft entscheiden.

Gerade einmal jeder dritte Wahlberechtigte gehört ihnen in Berlin noch an. Dabei zeigt sich hier die Stadt weiter geteilt. In den westlichen Stadtvierteln liegt der Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung bei teilweise sogar über 50 Prozent. Im Ostteil liegt er meist zwischen sieben und 20 Prozent.

Zwar haben sich bislang auch Menschen ohne religiöse Bindung für «Pro Reli» eingesetzt. Die Hürden für den Volksentscheid sind dennoch hoch. So müssen für einen Erfolg die Mehrheit der Teilnehmer und zugleich mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten für das Anliegen von «Pro Reli» mit Ja stimmen. Das entspricht einer Anzahl von mindestens rund 610.000 Stimmen.