Bischöfin Käßmann nach dem Amoklauf von Winnenden im domradio-Interview

"Bildung ist auch Herzensbildung"

Nach dem Amoklauf von Winnenden hält die Diskussion um Ursachen und Konsequenzen an. Margot Käßmann ist die hannoversche Landesbischöfin. Im domradio-Interview fordert sie mehr Herzensbildung und Medienkompetenz. Schulen seien hier wie Eltern in der Pflicht.

 (DR)

domradio: Zunächst ein Blick auf die schulische Erziehung: Ist die Gefahrenzulage für Lehrer der richtige Ansatz?  
Käßmann: Wegen des Schocks auf das grauenvolle Ereignis herrscht ein großer Aktionismus. Aber ich denke, es geht weniger um eine Gefahrenzulage. Wir müssen heute überlegen, wie Schule funktioniert. Ich habe den Eindruck, es gibt viel zu große Klassen und Lehrer haben viel zu wenig Zeit das einzelne Kind zu sehen. Investitionen in das Schulsystem scheinen mir nötig.

domradio: Inwiefern nehmen Sie die Politik, die Lehrer und auf der anderen Seite die Eltern in die Pflicht?
Käßmann: Dazwischen muss es eine Balance geben. Mir liegt viel daran deutlich zu machen: Die ersten Erziehenden sind die Eltern. Es gibt nicht nur die Freude an den Kindern, sondern auch die Pflicht zur Erziehung. Ich denke, dass Eltern es heute mit der medienpädagogischen Kompetenz schwer haben. Es ist gar nicht so einfach zu schauen: Mit wem chattet das Kind? Welche Spiele spielt es? Da müssen sich Eltern viel Zeit nehmen, um sich in die Medienwelt ihrer Kinder rein zu denken.

domradio: Sie sagen, Medienkompetenz ist ein wichtiges Stichwort. Da haben sie die Eltern in die Pflicht genommen, wie kann Kindern noch Medienkompetenz vermittelt werden? Da sind sicherlich auch die Schulen gefragt.
Käßmann: Es muss ein gutes Zusammenspiel zwischen Schule und Elternhaus sein. Die Schulen sind die Orte, wo sich Kinder neben dem Elternhaus am meisten bewegen und aufhalten. Und in den Schulen, müssen diese Punkte thematisiert werden. Als Lehrer auch mal in SchülerVz (Onlineportal) nachschauen, über was sich da ausgetauscht wird. Also zu wissen, was die Kinder tun , ist entscheidend. Ich finde die Aktion gut, "Schau hin, was deine Kinder gucken", um zu wissen wo sich bewegen, auch gedanklich. Oft sind wir Erwachsenen nicht kompetent genug zu wissen, was da vor sich geht.

domradio: Sehen Sie denn die Gewalt verherrlichenden Computerspiele als Mit-Ursache für einen Amoklauf, wie er jetzt in Winnenden passiert ist?
Käßmann: Ich denke, dass es eher ein warnendes Symptom ist, als das man sagen könnte, es sei die unmittelbare Ursache. Sehr viele männliche Jugendliche spielen Gewalt verherrlichende Computerspiele, welche aber nicht alle zu Gewalttätern werden. Dafür muss Vieles zusammenkommen. In den psychologischen Gutachten kann man sehen, dass es vor allem die Isolation ist, welche den Amoklauf gefördert haben. Und ich denke dass sehr viele Jugendliche in Deutschland entsetzlich alleine und isoliert sind. Es gibt eine große Vereinsamung für die, die nicht mithalten kommen: die, die nicht gut genug aussehen, die nicht die richtigen Klamotten an haben. Diese Kinder ziehen sich dann zurück. Die ganze Ablehnung kehrt sich um in eine Aggression gegenüber anderen. Kein Mensch weiß, was in diesen Jugendlichen vorgeht.

domradio: Das ist ein Appell, wen ich es richtig verstehe, gegen die Leistungsgesellschaft und für mehr soziale Wärme.
Käßmann: Bildung heißt für mich nicht nur Anwendungswissen á la Pisa. Sondern Bildung ist auch Herzensbildung! Bildung der sozialen Formen. Bildung umfasst gerade in der christlichen Lehre immer den ganzen Menschen. Ich fürchte das, dass vielerorts nicht gesehen wird. Familien werden auch sehr klein, da wird soziale Kompetenz, Rücksichtnahme, Miteinander essen beispielweise nicht gelernt. Und in der Schule fallen viele einfach auch heraus.