Afghanistan: Militärbischof beklagt Umgang mit deutschen Soldaten

Keine Exit-Strategie

Einen Tag nach einem Raketenangriff auf das deutsche Bundeswehrcamp im nordafghanischen Kundus ist Verteidigungsminister Franz Josef Jung dort zu einem Besuch eingetroffen. Geplant sind auch Unterredungen mit Bundeswehrsoldaten. Die deutschen Soldaten sind unzufrieden - vor allen Dingen beklagen sie den fehlenden Rückhalt in der deutschen Gesellschaft - zu Recht, sagt der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann im domradio-Interview.

 (DR)

Der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann hat eine klare politische Perspektive für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan gefordert. «Es ist deutlich, dass es keine explizite Exit-Strategie gibt», sagte Dutzmann am Montag zum Auftakt der 54.
Gesamtkonferenz evangelischer Militärgeistlicher in Bad Honnef. Er vermisse präzisere Bemühungen der Politik, einen Zeitpunkt für eine verantwortungsvolle Beendigung des Einsatzes am Hindukusch zu benennen. Auch die Soldaten erwarteten Klarheit darüber.

Für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gebe es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, unterstrich Dutzmann. Viele Soldaten litten allerdings an einer zu geringen Akzeptanz ihres Berufes und ihres Dienstes. «Viele Soldaten haben das Gefühl, dass ihr Berufsrisiko privatisiert wird, das belastet sie sehr», sagte der Militärbischof. Er sprach sich zugleich für den Erhalt der Wehrpflicht aus: «Die Armee muss in der Gesellschaft verankert sein.»


Gouverneur Mohammad Atta fand beim Besuch von Verteidigungsminister Jung im afghanischen Mazar-i-Sharif deutliche Worte. Die Entscheidung über eine Annäherung an die Taliban «ist die Angelegenheit der Afghanen», betonte der Vertreter der Provinz Balch, nachdem er und der Minister am Dienstag den symbolischen Spatenstich für den Ausbau des Flugplatzes zu einem nationalen Luft-Drehkreuz gesetzt hatten. Atta kritisierte zugleich die Unterteilung in Gemäßigte und Extremisten und betonte: «Taliban ist Taliban».

Der deutsche Verteidigungsminister musste sich auf seiner dreitägigen Afghanistanreise immer wieder zu der von US-Präsident Barack Obama angestoßenen Debatte äußern. Grundlage für eine Annäherung sei ein Gewaltverzicht seitens der Taliban, forderte er. Eingebunden werden könnten nur jene Gruppen, die sich von Gewalt distanzierten. Jung rief die Taliban auf, sich in Afghanistan für eine friedliche Entwicklung zu engagieren. Zugleich pflichtete er Atta bei: Über Verhandlungen mit Taliban müsse vor allem die afghanische Regierung entscheiden.

Jung besucht noch bis Mittwoch die Bundeswehrsoldaten am Hindukusch. Außer ins Hauptquartier in Mazar-i-Sharif reiste der Minister auch ins nordafghanische Faisabad. Zuvor führte er politische Gespräche zur Sicherstellung der deutschen Lufttransporte im usbekischen Termes. In der Stadt an der Grenze zu Afghanistan starten und landen unter anderem die Airbus-Maschinen der Bundeswehr. Vor seiner Rückreise nach Berlin will Jung noch den Bundeswehrstandort in Kundus besuchen. Begleitet wird er von einer Delegation aus Bundestagsabgeordneten und Angehörigen der Bundeswehr. Mit Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) reist erstmals ein amtierender Bundesratspräsident nach Afghanistan.

Entscheidend beim Aufbau des Landes seien Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung, bekräftigte Jung. Ziel müsse sein, dass Afghanistan selbst in der Lage sei, für seine Sicherheit zu sorgen. Daher müsse es verstärkte Bemühungen um die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte geben.

Bei der Besichtigung des Polizei Trainingszentrums in Mazar-i-Sharif nahm der Minister die anderen EU-Mitgliedsstaaten in die Pflicht. Das Ziel der europäische Polizei-Ausbildungsmission EUPOL, 400 Ausbilder in Afghanistan im Einsatz zu haben, müsse zügig erreicht werden. Bislang seien es nur 200 Ausbilder. Europa müsse «schnellstmöglich» diesen Aufbau vollziehen, mahnte er. Mit dem deutschen Engagement zeigte sich Jung derweil zufrieden. Unter deutscher Leitung wurden seinen Angaben nach seit 2002 mehr als 22 000 afghanische Polizisten ausgebildet. Man sei auf einem «guten Weg».

Müller zeigte sich für einen Einsatz weiterer Polizisten aus den Bundesländern in der Krisenregion offen. Es sei «durchaus denkbar», dass auch das Saarland Polizisten für die EUPOL-Mission zur Verfügung stelle. Zugleich verteidigte er die bisherige Zurückhaltung der Länder. Da externe Einsätze der Landespolizeien eher ungewöhnlich seien, kämen Innenminister häufig zu dem Schluss, dass ihre Beamten dafür nicht da seien. Aber wenn es Nachfrage gebe, seien die Länder diskussionsbereit.

Eine weitere Aufstockung der deutschen Bundeswehrpräsenz über das bereits zugesagte hinaus hält Jung nicht für notwendig. Das deutsche Engagement werde bereits angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Afghanistan und bei der ISAF-Eingreiftruppe Quick Reaction Force (QRF) insgesamt um 600 Kräfte erhöht. Deutschland leiste einen Beitrag, der sich sehen lassen könne.

Bei einem Besuch des Wiederaufbauteams in Faisabad widmete sich Jung erneut der Sicherheit und dem zivilen Aufbau in der Krisenregion. Gemeinsam mit dem Gouverneur der Provinz Badakhshan, Hadji Monchi Abdul Majeed, besichtigte er die Baustelle der von der NATO mit rund 3,5 Millionen Euro finanzierten Brücke über den Fluss Kokcha. Das Bauwerk soll Mitte Juni fertiggestellt werden und Anwohnern sowie den Bundeswehrangehörigen am Standort Faisabad deutlich kürzere Fahrtzeiten bringen. Jung betonte, der zivile Aufbau müsse konsequent vorangetrieben werden. Entscheidend sei, damit «die Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen».