17-jähriger tötet 15 Menschen und wird von Polizei erschossen - Bischof Fürst: Fassungslos vor dem Ausmaß von Gewalt

Amoklauf in Winnenden

Bei einem Amoklauf in Winnenden bei Stuttgart hat am Mittwoch ein 17-Jähriger 15 Menschen getötet. Bei den Opfern handelt es sich nach Angaben der Polizei um neun 15 bis 16 Jahre Schüler, drei Lehrerinnen und drei Passanten. Der Täter tötete sich nach einem Schusswechsel mit Polizisten offenbar selbst. Bischof Fürst, Bundespräsident Köhler und Bundeskanzlerin Merkel reagierten mit Trauer und Entsetzen auf die Bluttat.

 (DR)

Nach der Tat herrschte in der baden-württembergischen Stadt Fassungslosigkeit. Notfallseelsorger kümmerten sich um die Angehörigen der Opfer. Für den Abend war ein Gedenkgottesdienst in Winnenden geplant. Politiker und Kirchenvertreter reagierten mit Entsetzen auf die Tragödie.

Wie die Polizei mitteilte, hatte der Amokläufer gegen 9.30 Uhr ein Schulzentrum in Winnenden betreten. In zwei Klassenräumen erschoss er mit einer Pistole des Modells Beretta sieben Schüler sowie im Physikraum der Schule eine Lehrerin. Zwei weitere Schüler starben nach Angaben der Polizei im Krankenhaus. Unter den getöteten Schülern befinden sich acht Schülerinnen und nur ein Schüler.

Nach dem Eintreffen der Polizei soll es zu einem Schusswechsel mit drei Beamten gekommen sein. Anschließend flüchtete der Täter durch die Schule und erschoss zwei weitere Lehrerinnen. Die Opfer seien von der Tat offenbar überrascht worden. Einige Schüler hätten noch die Schulstifte in den Händen gehabt, hieß es. Zudem habe der Täter nicht wahllos um sich geschossen, sondern einige der Opfer durch gezielte Kopfschüsse getötet.

Nach Verlassen des Gebäudes tötete der 17-Jährige den Angaben zufolge einen Mitarbeiter einer angrenzenden psychiatrischen Klinik und kidnappte dann ein Auto. Dessen 61 Jahre alten Fahrer gelang im 40 Kilometer entfernten Wendlingen nach einem Unfall an einer Autobahnauffahrt die Flucht. Der 17-Jährige soll sich daraufhin in ein Autohaus begeben haben, wo er einen Mitarbeiter sowie einen Kunden tötete. Anschließend kam es zu einem Schusswechsel mit der Polizei, bei dem zwei Beamte verletzt wurden. Der Täter tötete sich gegen 12.30 Uhr vermutlich selbst.

Der Täter hatte im vergangenen Jahr an der Albertville-Realschule Winnenden die Mittlere Reife abgelegt und eine Ausbildung begonnen. Nach Angaben der Polizei ist der Vater des Jugendlichen Mitglied in einem Schützenverein und verfügt legal über mehrere Waffen, die sich mehrheitlich in einem Tresor befunden haben sollen. Die Tatwaffe sowie mehrere hundert Patronen soll der Täter im Schlafzimmer seiner Eltern an sich genommen haben.

Wie die Polizei weiter mitteilte, gibt es keine Hinweise darauf, dass die Tat angekündigt oder absehbar gewesen sei. Es würden Kleidung, Computer und bevorzugte Musik des Jugendlichen ausgewertet, um Hinweise auf ein Motiv zu finden. Der Jugendliche sei bislang unauffällig gewesen, hieß es. Die Polizei betonte, durch das frühe Eintreffen der Beamten in der Schule sei weiteres Blutvergießen vermutlich verhindert worden.

Mehr als 15 evangelische Notfallseelsorger waren schon kurz nach dem Amoklauf in der Stadt im Einsatz. Weitere Pfarrer standen auf Abruf bereit, wie ein Sprecher der Landeskirche dem epd sagte. Die seelsorgerische Hilfe muss nach Angaben der kirchlichen Notfallseelsorge in solchen Fällen möglichst schnell geleistet werden. Wichtig sei, Kinder in einer solchen Extremsituation nicht alleinzulassen und ihren unmittelbaren Reaktionen Raum zu geben. Das Schulzentrum Winnenden werde in den kommenden Tagen geschlossen bleiben, hieß es. Schulpsycholgen auch aus anderen Bundesländer betreuen dort Schüler und Lehrer.

Reaktionen
Erschüttert äußerte sich Bundespräsident Horst Köhler über die Tat. Seine Frau und er seien in Gedanken bei den Opfern und ihren Familien und Freunden, erklärte Köhler in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem «Tag der Trauer für ganz Deutschland». Es sei unfassbar, dass durch dieses entsetzliche Verbrechen Unbeteiligte binnen Sekunden ihr Leben verloren hätten. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und zahlreiche weitere Politiker äußerten sich tief betroffen.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, sagte, sein Mitgefühl und sein Gebet gelte den Familien der Opfer. «In mein Gebet schließe ich die Familie des Täters mit ein.» Der württembergische evangelische Landesbischof Frank Otfried July erklärte: «Ich stehe fassungslos vor diesem Ereignis auch als Vater meiner Kinder.» Auch der katholische Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, sprach den Angehörigen sein Beileid aus.

Unterdessen entzündete sich eine Debatte über Konsequenzen aus der Bluttat. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach warnte, Schulen zu «Hochsicherheitstrakten» auszubauen. «Das wollen auch die Schulen nicht», sagte der Unionsfraktionsvize der in Düsseldorf erscheinenden «Rheinischen Post» (Donnerstagsausgabe). «Wir müssen jetzt genau die Ursachen und Hintergründe der Tat aufdecken.»

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, erklärte, ein lückenloser Schutz vor solchen Taten sei nicht möglich. Im Mittelpunkt stehe nun die Frage, wie der junge Tatverdächtige an die Schusswaffen gelangen konnte und ob seiner Tat Verhaltensauffälligkeiten vorausgegangen seien.

Amokläufe stellen nach den Worten des Dortmunder Soziologen Friedrich-Wilhelm Stallberg in Deutschland bislang eine äußerst seltene Form extremer Gewalt dar. «Öffentlich mag das anders erscheinen, weil mit einer nie gekannten Intensität über sie berichtet wird», sagte Stallberg in einem epd-Gespräch. Die Täter bei Amokläufen wie in Winnenden bei Stuttgart seien immer jünger und wählten häufiger den «Tatort Schule» aus.