Rabbiner Cohen zu den bevorstehendenen Gesprächen im Vatikan

"Fühlen, dass Schweigen Pius XII. ein schmerzhaftes Thema ist"

Ab kommenden Mittwoch wird eine Delegation des israelischen Oberrabbinats zu Gesprächen im Vatikan erwartet. Die Gruppe wird geleitet von Schar Jischuw Cohen. Der Oberrabbiner von Haifa und Vorsitzende der Dialog-Kommission des Rabbinats sprach mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Jerusalem über Erwartungen an die Reise.

Autor/in:
Ulrich W. Sahm
Johannes Paul II. im Jahr 2000 an der Klagemauer in Jerusalem (KNA)
Johannes Paul II. im Jahr 2000 an der Klagemauer in Jerusalem / ( KNA )


KNA: Herr Oberrabbiner Cohen, Sie haben sich während der Bischofssynode im Oktober 2008 in Rom vor Journalisten negativ über eine mögliche Heiligsprechung von Papst Pius XII. geäußert. Wie stehen Sie heute dazu?

Cohen: Bisher ist in der Frage nichts passiert. Und ich hoffe, dass auch nichts geschehen wird. Obgleich die Sache natürlich eine innere Angelegenheit der Kirche ist, könnte es viele Menschen schmerzen, vor allem die wenigen noch verbliebenen Holocaust-Überlebenden. Die fühlen - wie es auf der Tafel in Jad Vaschem heißt -, dass das Schweigen Pius XII. während der Schoah ein schmerzhaftes Thema ist, auch wenn der Papst heimlich Juden gerettet haben sollte. Wir haben diese Position den Verantwortlichen des Vatikan nahe gebracht. Mehr können wir nicht tun, denn es ist ausdrücklich eine interne Angelegenheit der katholischen Kirche. Ich hoffe, dass sie unsere Gefühle versteht. Aber es ist ihre Entscheidung, nicht unsere.

KNA: Werden Sie bei den bevorstehenden Gesprächen dieses Thema aufwerfen?
Cohen: Es ist eine innere Angelegenheit der katholischen Kirche. Es ist klar, dass wir uns distanzieren. Das wissen die Verantwortlichen im Vatikan, und sie kennen unsere Gefühle. Wir haben unseren Standpunkt klar gemacht und erwarten, dass das in Rechnung gezogen wird.

KNA: Ein weiteres heißes Eisen ist derzeit der Holocaust-Leugner und Traditionalisten-Bischof Richard Williamson. Sind Sie in der Beziehung mit dem Verhalten des Vatikan zufrieden?
Cohen: Die unzweideutige Reaktion von Papst Benedikt XVI. hat die Tür für die Erneuerung des Dialogs und für die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen uns geöffnet. Er hat in der deutlichsten Form die Holocaust-Leugnung verurteilt und sieht darin ein Verbrechen.

Auch Williamson selbst hat sich entschuldigt. Seine Art der Entschuldigung reicht aber natürlich nicht aus. Er sollte die Leugnung des Holocaust zurücknehmen. Es ist aber klar, dass der Heilige Stuhl dafür nicht verantwortlich ist.

KNA: Trotzdem ist Antisemitismus wieder einmal zu einem Thema geworden. Was erwarten Sie in diesem Bereich von der Kirche?
Cohen: Wir begnügen uns mit der Erklärung des vorigen Papstes, die gewiss noch Gültigkeit hat. Da wurde Antisemitismus als Verbrechen gegen Gott definiert. Wir hoffen auch, dass die Kirche sich um eine Erziehung der Öffentlichkeit kümmert. Antisemitismus ist ein schreckliches Verbrechen, ein schlimmer Hass gegen ein Volk, das Gott ausgewählt hat, um ihm die Tora zu überreichen, damit sie den Völkern der Welt bekannt werde.

KNA: Die geplante Heilig-Land-Reise von Benedikt XVI. wird wahrscheinlich das Hauptthema der Gespräche sein?
Cohen: Ich weiß es nicht. Die Papstreise nach Israel ist eine Angelegenheit zwischen dem Staat Israel und dem Heiligen Stuhl. Wir hoffen auf jeden Fall, dass der Besuch im gleichen Geist abläuft, wie der Besuch seines Vorgängers Johannes Paul II. im Jahr 2000. Dieser Besuch wurde in der gesamten jüdischen Öffentlichkeit sehr positiv aufgenommen.

KNA: Erwarten Sie während des Papstbesuchs eine weitere Entschuldigung der Kirche - über den Brief hinaus, den Papst Johannes Paul II. in eine Ritze der Klagemauer gelegt hat?
Cohen: Ich glaube, so etwas wird es nicht geben. Benedikt XVI. wird seinen eigenen Weg gehen. Und wir würden dazu unseren Segen geben, wenn dieser Weg am Ende positiv für alle Seiten ist.