Hoffnung auf Bergung historischer Dokumente

Rettung möglich?

Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs könnte einen der schwerst wiegenden kulturellen Verluste in der deutschen Nachkriegsgeschichte bedeuten. "Wir haben ein Riesenkulturgut in dieser Stadt teilweise verloren , sagte der sichtlich mitgenommene Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma am Mittwoch. Der enorme geistige Verlust sei nicht zu bemessen, erklärte auch der Kulturdezernent der Stadt Köln, Georg Quander. Der Kölner Stadtsuperintendent Rolf Domning wertete das Unglück als "unwiederbringlichen schwersten Verlust für die kölnische Identität". Dennoch: Die Bergung ist angelaufen.

 (DR)

"Es könnten gewaltige Mengen an Informationen verloren gehen", sagte der Direktor des Historischen Archivs des Erzbistums Köln, Ulrich Helbach, am Mittwoch in der Domstadt. So wäre etwa die Zerstörung der mehr als 500 sogenannten Schreinsbücher der Stadt eine Katastrophe. In diesen Katasterbüchern seien alle Verkäufe von Grundstücken und Häusern im Stadtgebiet vom 12. Jahrhundert bis zur napoleonischen Zeit verzeichnet. "Es gibt wohl keine deutsche Stadt, die eine ähnlich minuziöse Registrierung hat", so Helbach.

Wie groß der Schaden für das Historische Archiv ist, war am Mittwoch noch weitgehend unbekannt. "Es handelt sich um 30 Regalkilometer mit kostbaren Handschriften, Plänen und Dokumenten", sagte Quander. NRW-Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff kündigte an, es werde mit Hochdruck an der Bergung und Sicherung der verschütteten Archivalien gearbeitet. Das Einsturzgebiet wurde mit Planen abgedeckt, um das Archivgut vor Regen zu schützen.

Geborgene Papiere werden umgehend in Gitterboxen verpackt und an andere Orte verlagert. Fachleute schweißen feuchtes Material vor Ort in Folie ein. Es wird dann in Kühlhäusern der Region schockgefrostet, um Feuchtigkeitsschäden abzuwenden. So könnten die alten und weltberühmten historischen Urkunden weitgehend sicher geborgen werden, hofft der Staatssekretär.

Das größte Stadtarchiv nördlich der Alpen - so wurde das Historische Archiv von Köln bisher genannt. Köln war im Mittelalter die größte Stadt Deutschlands und eine der größten Europas, entsprechend überragend waren die Schätze des Archivs. Sie reichen bis ins 10. Jahrhundert zurück, das älteste Dokument stammt aus dem Jahr 922. Ratsprotokolle und Urkunden dokumentieren die Politik der Handelsmetropole, die oft Auswirkungen auf das gesamte Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte.

"Das ist ein erstrangiges europäisches Rechtsdenkmal, das gibt es nicht noch einmal in der Welt , sagte der ehemalige Abteilungsleiter Eberhard Illner dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Denken Sie an die Hanseurkunden, die französische Verwaltung, die Handschriftensammlungen der Kölner Klöster und Stifte, an Albertus Magnus, die Tristan-und-Isolde-Handschrift, die gesamte Überlieferung der Stadt Köln ist komplett vernichtet!" Die Bestände seien nur vergleichbar mit denen des Pariser Nationalarchivs oder anderen weltweit führenden Institutionen.

Nach Einschätzung Illners entstand durch den Einsturz des Archivs ein größerer Schaden als 2004 beim Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, bei dem 50.000 Bücher verbrannten und 62.000 Bände beschädigt wurden. Mehrere Wissenschaftler sprachen davon, dass die Stadt Köln nun ihr Gedächtnis verloren habe.

Das Archivgebäude, ein bunkerartiger Zweckbau aus dem Jahr 1971, beherbergte Originaldokumente aus mehr als tausend Jahren Kölner und rheinischer Geschichte. Unter den Dokumenten sind Testamente, kaiserliche Privilegien und rund 65.000 Urkunden. Auch 104.000 Karten und Pläne, 50.000 Plakate und rund eine halbe Million Fotos liegen nun unter den Trümmern. Bestand des Archivs waren auch zahlreiche Nachlässe und Unterlagen bedeutender Persönlichkeiten, darunter Jan von Werth, Gottfried Böhm und Ferdinand Franz Wallraf. Das Jacques-Offenbach-Archiv war das größte der Welt. Besonders herausragend war der Nachlass des in Köln geborenen Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll (1917-1985).

Erst im Februar hatten die Stadt Köln, das Land Nordrhein-Westfalen und die Kulturstiftung der Länder für 800.000 Euro zusätzlich 6.400 Manuskripte, Briefe und Dokumente Bölls gekauft. Der Sohn des Schriftstellers, René Böll, sagte bei der Übergabe, alles bis auf einen Aktenordner mit persönlichen Erinnerungen befinde sich nun im Historischen Archiv der Stadt Köln. Die empfindlichen Schriftstücke könnten dort besser gelagert werden. Zu den Dokumenten zählten Bölls Geburtsurkunde und die Papiere zur Verleihung des Nobelpreises, aber auch Manuskripte und Aquarelle.

Ebenso wurden in dem Gebäude an der Severinstraße in der Südstadt Briefe von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Handschriften von Karl Marx und Friedrich Engels und von Napoleon oder Ludwig XIV. unterzeichnete Verfügungen und Edikte aufbewahrt. Da der Platz im Museum nicht mehr ausreichte, war in den vergangenen Monaten wiederholt über einen Ort für einen Neubau diskutiert worden. Dieser Neubau kann nun wohl bescheidener ausfallen, denn die Experten glauben nicht, dass sich unter dem Schutt noch sehr viele der fragilen Papiere erhalten haben. Ein Teil existiert allerdings noch auf Mikrofilm.

Der Kölner Notar Konrad Adenauer, ältester Enkel des ersten Bundeskanzlers, befürchtet, dass auch zahlreiche Dokumente mit Bezug auf seinen Großvater vernichtet sind. "Im Stadtarchiv lagen die gesammelten Unterlagen meines Großvaters, der ja von 1917 bis 1933 - und dann noch kurz nach dem Krieg - Oberbürgermeister dieser Stadt war", sagte Adenauer der " Welt Online". Der Einsturz werfe ein sehr schlechtes Licht auf die Stadt. "Viele Menschen werden mal wieder sagen: typisch für Köln."