Nach anfänglicher Kritik jubelt ganz Indien über die Oscars

Stolz auf Slumdog

"Es ist unglaublich", jubeln sechs indische Kinder in Frack und glänzenden Satin-Kleidern. Tausende Kilometer entfernt in Indiens größtem Slum in Bombay (Mumbai) sitzen ihre Eltern dicht gedrängt in einer Blechhütte vor dem Fernseher und starren auf dem roten Teppich vor dem Theater in Hollywood. Ungläubig schauen die jungen indischen Schauspieler, ungläubig schaut ganz Indien auf das achtfache Oscar-Glück für "Slumdog Millionär".

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Der Film des britischen Regisseurs Danny Boyle erzählt die Geschichte eines bitterarmen Teeverkäufers aus dem Armenviertel Dharavi in Bombay, der in einer Fernseh-Quizshow aus purem Zufall Millionen gewinnt. Verflogen sind die mürrischen Stimmen der vergangenen Wochen über «Armutspornografie» und die Gehälter der Kinderschauspieler aus dem Slum. Je mehr Auszeichnungen der Film auf den internationalen Festivals einheimste, desto stiller wurden die Kritiker.

«Ein großer Tag für Indien», freute sich Amitab Bachchan, der Übervater von Bollywood, der indischen Filmindustrie. Dabei ist «Slumdog Millionär» eigentlich eher ein britisches Produkt. Der berühmteste Schauspieler des indischen Subkontinents hatte sich zunächst pikiert gezeigt über den neuen Blockbuster. Auch in hoch entwickelten Ländern gebe es Elendsviertel, gab der Erfolgsschauspieler damals zu bedenken. Der Film zeichne ein einseitiges Bild voller Klischees von Indien.

Nun heißt es, seine Bemerkungen seien missverstanden worden. Auch Filmsternchen Shilpa Shetty schweigt jetzt lieber, nachdem sie vor ein paar Wochen noch geprahlt hatte, sie wollen einen Anti-«Slumdog-Millionär»-Film machen, der die Schönheit Indiens zeige.

Nun interessiert Indien viel, viel mehr, wie sich Jungtalent Freida Pinto, die große Liebe des Hauptdarstellers, auf den Glanzseiten des Modemagazins «Vogue» macht und ob sie ihren indischen Verlobten nun angesichts ihres Erfolges wirklich vor die Tür gesetzt hat.

Verziehen wird Pinto sogar, dass sie statt im traditionellen indischen Sari in einem westlichen Designer-Kleid von John Galliano zur Oscar-Feier schritt. Immerhin ist ja der Musiker A.R. Rahman, der den Film-Song «Jai Ho» komponierte, im indischem Gewand erschienen und hat, wie es sich in Indien ziemt, in seiner Rede der Mutter gedankt. Und Regisseur Boyle hat seinen Oscar der Stadt Bombay gewidmet und von den vielen, vielen Talenten in Indien geschwärmt.

Im Slum von Dharavi in Bombay stehen derweil Kinder, die kleine Nebenrollen im Film spielten. Sie machen vor den Fernsehkameras ihrer Enttäuschung Luft, dass sie nicht auch auf dem roten Teppich im fernen Amerika stehen können. Um sie herum ist es wie immer. Züge fahren vorbei, Straßenhunde suchen nach Essbarem, Menschen waschen Teller, kochen, schneiden Gemüse klein. Es ist der Alltag in Dharavi, wo das Märchen vom «Slumdog Millionär» spielt.