Zum 100. Geburtstag des Komikers und Literaten Heinz Erhardt

"Liebe Tante, ich möcht' gern dichter werden"

Noch ein Gedicht - das war das Motto von Heinz Erhardt. Heute wäre der bis heute unvergessene Komiker 100 Jahre alt geworden. Der geniale Wortverdreher hat mit Aphorismen und Versen ("noch'n Gedicht"), mit Filmen und Liedern jahrzehntelang die Menschen zum Lachen gebracht.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

«Es war an einem 20. Februar. Das Thermometer zeigte 11 Grad minus und die Uhr 11 Uhr vormittags, als vor unserem Haus das Hauptwasserrohr platzte. Im Nu war die Straße überschwemmt und im gleichen Nu gefroren. Die umliegenden Kinder kamen zuhauf, um auf ihren Schuhen schlitt zu laufen. Ich selbst konnte mich an diesem fröhlichen Treiben nicht beteiligen, weil ich noch nicht geboren war. Dieses Ereignis fand erst gegen Abend statt. Und da war die Eisbahn längst gestreut und unbrauchbar geworden. Das Eislaufen habe ich bis heute nicht gelernt.»

So beschreibt Heinz Erhardt, Sohn baltendeutscher Eltern aus Riga, seinen Geburtstag am 20. Februar 1909. Vor 100 Jahren wurde den Deutschen ein Multitalent geboren, das im kollektiven Gedächtnis bis heute vor allem für den «Willi Winzig» der Wirtschaftswunder-Zeit steht. Doch er war viel mehr: ein leiser Literat, ein Schelm, ein Pianist mit List. Wenn der US-Kollege Groucho Marx einst witzelte, er besitze mit «Geheimnisse der britischen Küche», «Italienische Kriegshelden» und «Tausend Jahre deutscher Humor» die drei kürzesten Bücher der Weltliteratur, so strafte ihn Heinz Erhardt Lügen. Sein nie enden wollender Wortwitz ließ ihn immer «noch'n Gedicht» verfassen.

Erhardts Humor basiert auf hintersinnigen Wortverdrehungen. Sein lyrisches Talent, das sich «klassisch-erstklassisch», «tierisch-satirisch» oder in verblüffend pointierten Vierzeilern äußern konnte, erklärt er selbst ganz profan: Eines Tages sei ihm eine gute Fee erschienen und habe gefragt, was er denn einmal werden wolle. Und er habe mit Blick auf seine etwas feuchten Windeln entgegnet: «Liebe Tante, ich möchte' gern dichter werden.»

Der Weg dahin war allerdings nicht schnurgerade. Die Kindheit bei den Großeltern in Riga, herumgeschoben zwischen den getrennt lebenden Eltern; insgesamt 15 Schulwechsel, die ihn letztlich das Abitur schmeißen ließen. Lustlos als Musikalienhändler im großväterlichen Geschäft, lustvoller dagegen, auf den Instrumenten im Laden zu spielen und zu komponieren. Die Liebe seines Lebens, Gila, lernte er nach eigener Schilderung 1934 in einem Rigaer Fahrstuhl kennen. Sie schickte ihn erst nach oben, dann nach Berlin, wo er schließlich kurz vor Kriegsausbruch am renommierten «Kabarett der Komiker» reüssierte. Zeitlebens blieb Erhardts Ehefrau die entscheidende Testperson für die Pointen des Perfektionisten und stets lampenfiebernden Selbstkritikers.

Viel bekannter noch als seine ausgefeilten Live- und TV-Auftritte, wenn auch weit weniger witzig, sind dem breiten Publikum seine Filmrollen als Willi Winzig mit dem schwarzweißen Charme der 50er Jahre. Fürs Kino habe man ihn entdeckt, weil seine Körpermaße «einfach ideal auf eine Breitwand passten, witzelte Heinz Erhardt selbst. In der "Komiker"-Ecke immer ein wenig unterschätzt, steht er tatsächlich in einer Reihe mit Erich Kästner, Wilhelm Busch, Ringelnatz, Morgenstern. Die Namen fallen oft, wo man seine Gedichte vom Alten Fritz, von der Nase, den alten Zähnen, der Kuh oder dem Pechmariechen rezitiert. So blieb er, «auch wenn's mir schwer ward», immer der Heinz Erhardt.

1971 verlor er bei einem schweren Schlaganfall seine Fähigkeit zu sprechen und zu schreiben - eine Tragödie für den Wortartisten. Erhardt zog sich ins Privatleben zurück. Vier Tage vor seinem Tod am 5. Juni 1979 ehrte ihn die Bundesregierung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz. Mehr denn je gilt zu seinem 100. Geburtstag: «Nicht immer war ich schon so alt, das machten erst die Jahre». Seine Reime freilich bleiben - frisch wie am Tag ihres Erscheinens.

Hinweis: Klassiker zum Kennenlernen sind die Textsammlungen «Noch'n Gedicht» und «Das große Heinz-Erhardt-Buch».