Der Journalist Nic Dunlop spürte den Henker von Tuol Sleng auf

"Ich wollte verstehen"

An diesem Dienstag hat in Phnom Penh das Verfahren gegen Kaing Guek Eav, genannt Duch, begonnen. Der 67-jährige Duch war Chef der Geheimpolizei der Roten Khmer. Er befehligte das berüchtigte Folterzentrum Tuol Sleng in Phnom Penh mit dem Codenamen S 21. Dort kamen 16.000 Menschen gewaltsam ums Leben. Der "Henker von Tuol Sleng" wurde vor zehn Jahren festgenommen, nachdem ihn der britische Fotoreporter Nic Dunlop in seinem Versteck ausfindig machte. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Nic Dunlop, der als Fotoreporter in Bangkok lebt, über Duch und das Rote-Khmer-Tribunal.

 (DR)

KNA: Herr Dunlop, Sie haben Duch vor mehr als zehn Jahren aufgespürt. Warum haben Sie ihn gesucht?

Dunlop: Mich hat schon als Teenager sehr beschäftigt, was in Kambodscha geschehen ist. Ich bin nach Kambodscha gereist, um mir im Land selbst ein Bild zu machen, indem ich all die Orte besuchte, wo Menschen wie Duch herkamen. Es war mehr die Suche nach der Wahrheit, nach Verstehen. Ich hatte nicht das Ziel, bestimmte Menschen der Gerechtigkeit zuzuführen. Ich bin kein Simon-Wiesenthal-Typ. Ein Jahr lang habe ich überall in Kambodscha sein Foto herumgezeigt.
Letztlich habe ich ihn zufällig gefunden, als ich wegen eines Auftrags im Westen Kambodschas war.

KNA: Haben Sie ihn direkt auf seine Vergangenheit als Leiter von S
21 angesprochen?
Dunlop: Ich habe zunächst nicht mal gezeigt, dass ich wusste, wer er war. Das schien in Anbetracht der schwierigen Situation klug zu sein. Der Krieg war gerade erst zu Ende, und alle Menschen in der Region waren noch Rote Khmer. Wir haben nur über unverfängliche Dinge gesprochen. Ein paar Wochen später bin ich zusammen mit einem anderen Journalisten wieder hingefahren, und wir haben uns mit Duch zum Interview zusammengesetzt. Plötzlich sagte Duch zu mir: 'Nic, ich glaube, dein Freund hat Pol Pot interviewt." Und ich sagte:
«Ja». Dann begann er mit seinem außerordentlichen Geständnis.

KNA: Warum hat er dieses Geständnis abgelegt?
Dunlop: Ihm war klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er gefunden wurde - und auch, dass es er vor Gericht gestellt werden könnte. Ein Tribunal war ja damals schon im Gespräch. Er sagte damals: Was von nun an passiert, liegt in Gottes Hand. Vielleicht muss ich ins Gefängnis. Ich könnte mir aber vorstellen, dass er das rückblickend als einen Fehler sieht. Ich glaube, er war sich zur Zeit des Interviews nicht über die Implikationen im Klaren, die das, was er sagte, haben könnte.

KNA: Wie hat er über seine Rolle in Tuol Sleng gesprochen? Nüchtern und distanziert? Hat er sich gerechtfertigt, vielleicht gar Ansätze von Reue gezeigt?
Dunlop: Das war eine Mischung aus alledem. Er hat offen über das Geschehene gesprochen. Er nannte Namen und hat genau beschrieben, was geschehen ist.

KNA: Wissen Sie, warum Duch zum Christentum übergetreten ist?
Dunlop: Ob aus Reue über seine Rolle als Henker - oder ob er die Ermordung seiner Frau Mitte der 90er Jahre als Strafe für seine Taten gesehen hat, das ist mir nicht klar geworden. Aber man muss auch jedem Menschen zugestehen, dass er sich ändern kann.

KNA: Duch war nicht der einzige Leiter eines Foltergefängnisses. Aber kein anderer ist vom Tribunal noch von den kambodschanischen Behörden je verhaftet worden. Wird Duch von der kambodschanischen Politik als Sündenbock für alle benutzt?
Dunlop: Das ist gut möglich. Es kann sogar sein, dass er der einzige sein wird, der überhaupt vor Gericht steht. Im Moment sieht es ja so aus, als würden die Verfahren gegen die anderen Angeklagten frühestens in einem Jahr beginnen. Was Duch so interessant macht, ist, dass er erklären kann, wie das System funktionierte, wie die Befehlsketten verliefen. Er hat einen unglaublichen Wissensschatz, der Licht auf diese Ära werfen kann. Wenn er aussagt, dann müsste man Respekt vor ihm haben.

KNA: Ist ein Tribunal der richtige Weg zur Vergangenheitsbewältigung?
Dunlop: Das Tribunal hat zwei Ziele. Es geht um Gerechtigkeit und darum, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Die meisten Kambodschaner wissen, was ihnen unmittelbar passiert ist, aber nicht, wie die Roten Khmer funktionierten und warum. Das Gericht hat aber bisher kläglich darin versagt, den Kambodschanern zu erklären, was es tut, wie es arbeitet und mit welchen Zielen. Das spiegelt sich im Budget
wider: Der Etat beträgt 143 Millionen Dollar (Tageskurs 112 Millionen Euro), aber das Budget für «Outreach», das den Kambodschanern das Tribunal nahebringen soll, beträgt nur 50.000 Dollar (39.000 Euro). Das wirft eine Frage nach der Legitimität des Gerichts auf.