Kirchenvertreter David Neuhaus zum Ergebnis der Wahlen in Israel

"Israel in der Frage nach dem Weg zum Frieden gespalten"

Israel hat gewählt - doch wer das Land künftig führen wird, ist noch unklar. Kadima-Chefin Tzipi Livni und Likud-Führer Benjamin Netanjahu hoffen beide, mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Für die Christen im Land sei der angeschlagene Friedensprozess das Hauptthema, meint der Generalsekretär der hebräischsprachigen katholischen Gemeinde Israels, David Neuhaus. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach er auch über das Wahlverhalten der verschiedenen christlichen Gruppen.

 (DR)

KNA: Pater Neuhaus, für wen haben die israelischen Christen gestimmt?
Neuhaus: Das Abstimmungsverhalten der Christen ist so vielfältig wie die christliche Minderheit selbst. Die meisten Christen hier sind ja arabisch-palästinensisch - und die stimmen traditionell für eine der drei arabischen Parteien. An der Statistik für Nazareth etwa, wo sehr viele christliche Araber wohnen, kann man das gut erkennen.
Dort haben 92 Prozent einer arabischen Partei ihre Stimme gegeben.  
Allerdings muss man dazu sagen, dass die arabischen Parteien keinerlei Chance haben, an der Regierung beteiligt zu werden, egal wie viele Plätze in der Knesset sie bekommen. Die führenden zionistischen Parteien schließen die arabischen Parteien aus Prinzip von der Regierungsbildung aus.

KNA: Und wie sieht es mit dem Wahlverhalten der hebräischsprachigen Christen aus, der Minderheit innerhalb der christlichen Minderheit?
Neuhaus: Die hebräischsprachigen Christen wählen alles, was säkulare Juden in Israel auch wählen - da ist das Spektrum sehr breit: von der Arbeiterpartei bis zu den Ultra-Nationalisten. Nur die jüdisch-religiösen Parteien wie die Schas haben unter Christen normalerweise keine Anhänger. Die wachsende Zahl russischer Einwanderer, unter denen ja viele aus christlich-orthodoxem Milieu stammen, sieht zumeist in dem russischen Aufsteiger Liebermann ihren besten Fürsprecher.

KNA: Das ist etwas überraschend.

Neuhaus: Tatsächlich ist Liebermann zwar ultra-national, aber auch säkular. Er weiß genau, dass viele israelische Russen eine christliche Identität haben. Darum erhoffen sich die russischen Christen von ihm eine religiös offene Politik. Wenn hingegen die jüdisch-religiöse Schas-Partei größeren Einfluss in der Regierung bekommt, könnte sich das auf die Atmosphäre für Christen auswirken: Dass es etwa größere Probleme bei der Visa-Vergabe gibt oder Ähnliches.

KNA: Was sind aus christlicher Sicht die größten Herausforderungen für die neue Mannschaft an der Spitze des Landes?
Neuhaus: Da sind die Erwartungen wiederum extrem verschieden. Aber wenn wir mal den Fokus auf die große Mehrheit, also die christlichen Araber legen, dann hat für sie sicher der Friedensprozess absolute Priorität. Die meisten Christen sehen, dass ihre Zukunft sehr stark vom Gelingen des Friedensprozesses abhängt - und dass das größte Problem für die Zukunft der christlichen Minderheit der andauernde Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist. Also ist das die brennende Herausforderung schlechthin.

KNA: Was ist darüber hinaus wichtig?

Neuhaus: Eine weitere wichtige Frage ist das Thema
Gleichberechtigung: Dass etwa arabische Städte dasselbe Budget bekommen wie jüdische Städte, was bisher absolut nicht der Fall ist. Dass die Araber im Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt und so weiter gleiche Chancen bekommen wie die jüdische Mehrheit. In all diesen Punkten decken sich die Interessen der christlichen Araber übrigens mit denen der Muslime.

KNA: Diese Wahlen haben insgesamt einen Rechtsruck in Israel gebracht. Bedeutet das, dass der Friedensprozess mit Palästinensern und arabischen Nachbarstaaten nun eingefroren oder weiter zurückgeworfen wird?
Neuhaus: Das ist alles noch nicht klar. Sicher haben die Führer der rechten Parteien in ihrer Rhetorik mehr Gewicht auf die Sicherheit gelegt als auf den Frieden - und mehr Wert auf Verteidigung als auf Dialog. Aber die israelische Geschichte zeigt, dass die linken, eher friedensorientierten Regierungen weniger Druck aus dem Ausland bekommen und darum weniger erreicht haben. Umgekehrt wurde die Friedensprozesse mit Ägypten und mit den Palästinensern von eher rechtslastigen Regierungen angestoßen. Tatsächlich kann es auch heute so sein, dass ein Obama etwa mehr Notwendigkeit sieht, in den Nahost-Prozess einzugreifen, wenn er einen rechten Netanjahu vor sich hat und nicht Livni als die Frau aus der Mitte. Daher kann man sehr wenig vorhersagen.

KNA: Manche Kommentatoren meinen, die Israelis hätten gegen den Friedensprozess gestimmt. Würden Sie dem zustimmen?
Neuhaus: Sicher haben die Israelis für einen Wechsel im ganzen Diskurs gestimmt. Die überwältigende Mehrheit will sicher einen Frieden. Aber viele sagen, dass man ihn mit den bisherigen Mitteln nicht bekommen habe. Israel ist in der Frage nach dem besten Weg zum Frieden völlig gespalten - und das ist vielleicht das eindeutigste Ergebnis dieser Wahlen.