Eine Reportage von Renardo Schlegelmilch

Per Straßenbahn durch Köln

"Wo darfs denn heut hingehn?" - Dass man diesen Satz in einem Taxi hört ist an der Tagesordnung.

 (DR)

Dass diese Frage von einem Busfahrer kommt ist schon seltener, dass man aber in der Straßenbahn so begrüßt wird, passiert nicht alle Tage.  Wie wäre es denn, einmal von einem Straßenbahnfahrer durch Köln chauffiert zu werden? Renardo Schlegelmilch hat sich auf dieses Abenteuer eingelassen. Ein weiter, von unzähligen Schienen überzogener Betriebshof in Köln Braunsfeld. Zwischen den mit Kies bedeckten Gleisanlagen und den Gehwegen stoßen dreckige Grasbüschel durch die grauen Betonplatten. Der kalte Novemberregen prasselt auf die abgestellten Straßenbahnwagen. Stefan Ruland, Fahrlehrer der KVB, drückt den Türknopf, und die acht Glastüren an der rechten Seite der zwei K4500 Niederflur-Waggons öffnen sich simultan mit einem elektrischen Surren. Sofort schlägt uns eine Wolke warmer Luft entgegen.

Normalerweise dürfen nur Straßenbahnfahrer und Auszubildende auf diesen Betriebshof. Doch heute macht die KVB eine Ausnahme: Stefan Ruland startet von hier aus mit mir eine Privatfahrt durch Köln.
Der Kölner arbeitet jetzt schon seit zehn Jahren bei den Verkehrsbetrieben. Zuerst als Fahrer und seit einigen Jahren als Fahrlehrer für angehende Straßenbahnführer.

Von dem prasselnden Regen sind wir in dem knapp zwei Quadratmeter großen Fahrerstand gut geschützt. Bevor wir aber losfahren, muss Stefan Ruland die Straßenbahn nochmals verlassen: Die Weiche vor dem Fahrzeug muss so umgestellt werden, dass wir das Betriebsgelände verlassen können. Im gesamten Kölner Streckennetz geschieht dies automatisch, nur auf dem Gelände der KVB ist noch Handarbeit angesagt: Der Fahrer geht mit einem etwa einen Meter langen Metallstab vor die Bahn, und legt die Weiche per Hand um. Kurz darauf setzen wir uns endlich in Bewegung.

„Wo solls denn hingehn?" fragt mich der KVB Angestellte mit einem Grinsen und verlässt den Betriebshof in Richtung Aachener Straße. Doch kurz darauf wird die Fahrt schon wieder unterbrochen. An der nächsten Kreuzung müsste die Bahn eigentlich rechts abbiegen, doch der Weg wird uns versperrt. Der Grund: Ein Taxi ist an der Ampel ein paar Zentimeter zu weit nach vorne gefahren. Da die Straßenbahn breiter ist als die Gleise, könnte es dazu kommen, dass der Zug mit dem Taxi zusammenstößt. Die Bahn muss jetzt warten, bis das Taxi weggefahren ist. „Das ist einer der Hauptgründe für Verspätungen", sagt der Fahrer und runzelt die Stirn.  Es komme sogar hin und wieder vor, dass ein Falschparker im Gleisprofil steht. In diesem Fall müssen die betroffenen Bahnen dann umgeleitet und das Auto abgeschleppt werden. Doch so weit kommt es diesmal nicht. Nach wenigen Sekunden fährt das Taxi weiter, und die Straßenbahn kann ihre Fahrt fortsetzen. Wir machen uns auf den Weg in Richtung Chlodwigplatz. Da wir als Sonderzug unterwegs sind, wird an den Anzeigetafeln weder Liniennummer noch Ziel angegeben. Trotzdem versuchen immer wieder einige Leute an den Haltestellen einzusteigen, und schimpfen teils frustriert wenn sie feststellen, dass sie mit dieser Bahn nicht mitfahren können. „Ich kann das ja verstehen", sagt Stefan Ruland. „Es regnet, die Menschen wollen nach Hause, vielleicht hat ihre Linie auch schon Verspätung, und da sehen sie endlich eine Bahn kommen, in die sie dann doch nicht einsteigen können."

Kurz nachdem wir die Haltestelle Zülpicher Platz verlassen haben, kommt uns ein Zug der Linie 15 entgegen. Stefan Ruland scheint den Fahrer zu kennen. Freudig grüßt er den Kollegen per Handzeichen, und bimmelt mit der Glocke der Straßenbahn. Doch das Bimmeln ist keineswegs als Gruß gedacht: „Die Glocke ist ein reines Sicherheitssignal." Wenn dem Fahrer eine Bahn entgegen kommt, kann er nicht sehen, was auf der anderen Seite des Zuges passiert. Und falls dort Fußgänger sind, die über die Gleise gehen wollen, sehen sie die Bahn genauso wenig. „Deshalb müssen wir immer, wenn uns eine Bahn entgegen kommt die Glocke läuten."

Nun haben wir fast den Barbarossaplatz erreicht, und die Miene des bis gut gelaunten Straßenbahnfahrers verdunkelt sich. „Setzt ist Vorsicht angesagt." Denn am Barbarossaplatz passieren mit die meisten Unfälle. Diese Station ist einer der Hauptknotenpunkte im Streckennetz der KVB. Hier wollen Passagiere aus vier verschiedenen Linien aus- und umsteigen. Und dann kommen dann noch Fußgänger, Fahrradfahrer und Autos dazu. Besonders in der Vorweihnachtszeit ist dieser Bereich gefährlich. Es wird schon früh dunkel, die Menschen sind im Stress und wollen noch möglichst viele Sachen erledigen. Da kann dann schon mal die Aufmerksamkeit drunter leiden. Deshalb müssen die Fahrer hier immer besonders aufpassen, ob jemand über die Gleise läuft oder sonst wie in Gefahr kommen könnte. Und kaum erwähnt, kommt es schon zu so einer Gefahrensituation: Stefan Ruland will mit seiner Bahn die Kreuzung am Barbarossaplatz überqueren, als er merkt, dass die Haltestelle noch von einer Bahn der Linie 12 blockiert wird. In dieser Situation besteht zwar keine direkte Gefahr, wenn die Bahn aber jetzt auf die Kreuzung fahren würde, und der andere Zug aus irgendeinem Grund nicht weiterfahren könnte, würde Stefan Ruland mit seiner Bahn den gesamten Barbarossaplatz lahm legen. Obwohl die Bahnen auf eigenen Gleisen fahren, ist die erste Priorität den „Individualverkehr" nicht zu behindern und immer die Straßenverkehrsordnung einzuhalten. Einfach rückwärts fahren könnte die Straßenbahn in dieser Situation übrigens nicht, erklärt der Fahrer: „Es wäre zwar technisch möglich, ist von diesem Fahrerstand aber verboten." Alle Waggons haben Fahrerkabinen an beiden Enden. Wenn die Bahn wirklich einmal rückwärts fahren müsste, würde der Fahrer dann aussteigen, und den Zug vom anderen Ende aus steuern. „Eine Straßenbahn ist über 60 Meter lang. Da ist es viel zu gefährlich einfach mal zurückzusetzen."

Als nächstes erreichen wir die Eifelstraße, die laut dem KVB-Fahrlehrer einer der Unfallschwerpunkte in Köln ist. Hier sind Zusammenstöße der Straßenbahn mit Autos recht häufig: An der Kreuzung Salierring/Eifelstraße können die Autos links abbiegen und fahren dann über die Gleise. Wenn aber ein Autofahrer die Ampel falsch deutet, und anstatt geradeaus zu fahren abbiegt, kann es vorkommen, dass er dann mit einer Bahn zusammenstößt. „Im besten Fall erwischt der Zug das Auto dann an der Motorhaube und schiebt es weg. Dann gibt es nur Blechschaden." Es kann aber auch sein, dass ein Zug mit 50 km/h unterwegs ist, und das Auto an der Fahrerseite erwischt. Dann sind die Folgen nicht so glimpflich. Ein voll besetzter Zug kann gut hundert Tonnen wiegen. Aus diesem und anderen Gründen kommt es dann doch alle Paar Wochen zu tödlichen Unfällen. Die angehenden Straßenbahnfahrer werden auf solche Situationen schon in der Ausbildung vorbereitet. „Wenn es wirklich mal zu so einem Unfall kommt, kann man nichts mehr unternehmen. Auch wenn es in 99% der Fälle nicht die Schuld des Fahrers ist. Es ist eine ganz normale Reaktion, dass man sich zuerst selbst die Schuld gibt. Wir bringen unseren Auszubildenden deshalb auch bei, immer die Regeln einzuhalten. Auch wenn man zu spät dran ist, sollte man auf keinen Fall zu schnell fahren. Dann weiß man wenigstens, falls es wirklich mal zu einem tödlichen Unfall kommt, dass man alles richtig gemacht hat."

Noch belastender als ein zufälliger Unfall ist es für die Fahrer, wenn sich ein Selbstmörder vor eine Bahn wirft, beschreibt Stefan Ruland: „Ein Kollege hatte vor einigen Wochen den Fall, dass sich am Hauptbahnhof ein Selbstmörder an die Bahnsteigkante gestellt hat, und dann einen Meter vor dem Zug in das Gleisbett gesprungen ist. Das ist wirklich der Alptraum für jeden Fahrer!" Deshalb gehört äußerste Wachsamkeit für Stefan Ruland zum täglichen Arbeitsalltag. Falls dann doch einmal solch eine Situation eintritt, kann er nur versuchen das Schlimmste zu vermeiden. Doch auf unserer heutigen Fahrt geht glücklicherweise alles gut.  Inzwischen haben wir uns aus der Innenstadt entfernt, die Deutzer Brücke überquert und sind in die unterirdischen Gleisanlagen von Köln-Deutz eingefahren.

„U-Bahn Fahrten sind insofern einfacher, dass man als Fahrer keine Autos oder Fußgänger im Auge behalten muss, dafür gibt es unterirdisch andere Schwierigkeiten, zum Beispiel die Signalgebung." In den U-Bahn Schächten sind nämlich kompliziertere Signalanlagen angebracht, als oberirdisch. So z.B. eine Art Ampel, die automatisch die Geschwindigkeit der Züge überwacht. Wenn das Signal grün leuchtet, ist der Zug im normalen Bereich unterwegs. Sobald das Signal auf gelb umschaltet, sollte der Fahrer auf den Tacho achten. Aber wenn die Ampel auf rot schaltet, löst der Computer automatisch einen Sicherheitsmechanismus aus. Stefan Ruland ist gut aufgelegt, und will mir dies einmal demonstrieren: mit 65 km/h überfahren wir einen 60 km/h Kontrollpunkt. Sofort wird der Zug langsamer bis er vollständig zum Halt kommt. Erst nach einigen Sekunden kann wieder angefahren werden. „Dieser Mechanismus ist dafür da, dass der Fahrer auf keinen Fall seine Geschwindigkeit aus dem Auge lässt. Keiner will ja mal einen Kurzstopp im Tunnel einlegen." Zudem gibt es noch einen zweite Sicherung, die verhindert, dass die Bahn unkontrolliert weiterfährt, falls der Fahrer in Ohnmacht fällt. Denn sobald der Steuerhebel, der die Geschwindigkeit regelt, losgelassen wird, wird die Bahn ebenfalls automatisch zum Halt gebracht.

Inzwischen haben wir die Tunnelanlagen verlassen und befinden uns nun auf der Strecke der Linie 9 nach Königsforst, doch bevor er mich absetzt, hat der Straßenbahnführer noch eine Überraschung für mich: Eine Gefahrenbremsung bei voller Fahrt. „Festhalten!".

Ein solcher Bremsvorgang ist der schnellste Weg, eine Bahn mit 70 Tonnen Leergewicht zum stehen zu bringen: Ein schrilles Warngeräusch kommt aus allen Lautsprechern und die Glocke der Bahn gibt ein Dauerwarnsignal. Zur gleichen Zeit werden neben den normalen Bremsen noch Schienenbremsen ausgelöst, die krachend auf die Gleise herabfallen. Als dritte Bremsmaßnahme wird dann schließlich Sand auf die Gleise gestreut, um die Reibung zu erhöhen. Schnell kommt die Bahn aus voller Fahrt zum stehen. Diese Gefahrenbremsung wird aber nur im äußersten Notfall durchgeführt.

Nach einigen Sekunden fährt die Straßenbahn wieder an, und bringt mich ohne Probleme an das Ziel meiner Fahrt: Die Endstation Königsforst, wo ich aus der voll klimatisierten Fahrerkabine aussteige und mich wieder der kalte Novemberregen empfängt. Ich setze mich in eines der Wartehäuschen und warte auf die nächste Straßenbahn, die mich wieder in die Innenstadt bringt. Diese wird dann sicher wieder etwas voller besetzt sein.