Der Patriarch von Jerusalem zur aktuellen Situation in Gaza

"Wir müssen das Rad anhalten"

Seit Tagen eskaliert die Situation im Gaza-Streifen: Während die israelische Luftoffensive bereits Hunderte Menschenleben forderte und Hamas-Aktivisten mit einem Raketenhagel auf israelische Grenzstädte antworten, riefen die Kirchenführer Jerusalems zu einem Ende der Gewalt auf. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur forderte der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Fouad Twal, am Dienstag "mutige Schritte" für eine umfassende Friedenslösung.

Autor/in:
Gabi Fröhlich
Fouad Twal: Der Lateinische Patriarch von Jerusalem (KNA)
Fouad Twal: Der Lateinische Patriarch von Jerusalem / ( KNA )

KNA: Herr Patriarch, mehr als 300 Tote in wenigen Tagen - glauben Sie, dass Israel mit seinem harten Vorgehen einen Frieden in der Region erzwingen kann?
Twal: Nein. Wir Kirchenführer werden nicht müde zu wiederholen, dass militärisches Vorgehen niemals eine Lösung ist. Gewalt bringt immer nur neue Gewalt hervor. Darum sind wir gegen jede Art der Gewaltanwendung, von welcher Seite auch immer. Es stimmt vielleicht, dass die Verhandlungen bisher nicht zu einer Lösung des Konflikts geführt haben - aber auch die Gewalt hat nichts bewirkt. Da scheinen mir die Gespräche doch die sinnvollere Lösung zu sein. Was wir allerdings unbedingt brauchen, ist der feste Wille, das Problem zu lösen. Ohne echten politischen Willen wird aus den Verhandlungen reines Geschwätz mit leeren Versprechungen.

KNA: Im Gaza-Streifen leben unter 1,5 Millionen Muslimen etwa 3.000 Christen. Wie geht es der christlichen Minderheit?
Twal: Die Christen sind ein integraler Bestandteil der Bevölkerung Gazas, es gibt dort kein christliches Getto. Und die Bomben unterscheiden nicht zwischen Muslimen und Christen, insofern leiden alle gemeinsam unter den Angriffen. Auch wenn Israel sagt, dass nur genau definierte Ziele angegriffen werden, kann ich das nicht wirklich erkennen - es sind viele getötet worden, die völlig unschuldig sind und mit Hamas nichts zu tun haben.

KNA: Am Montag waren Sie beim Weihnachtsempfang des israelischen Präsidenten für die Kirchenführer Jerusalems. Haben Sie Schimon Peres Ihre Bedenken mitgeteilt?
Twal: Der Präsident wie der Innenminister haben Ansprachen gehalten und natürlich haben sie dabei das israelische Vorgehen in Gaza als notwendig verteidigt. Sie sagten, sie müssten ihre Bürger verteidigen. Ich sage dazu, dass es natürlich gut und recht ist, die eigenen Bürger zu verteidigen - aber auch in Gaza leben Bürger. Es sind Kinder, Frauen, Familien, die ein Recht auf ein würdiges und menschliches Leben ohne Angst haben. Doch die Besatzung einer ganzen Stadt, ihrer Grenzen, des Meeres, des Himmels hat aus Gaza ein Freilichtgefängnis gemacht. Ich glaube nicht, dass dies ein Umfeld ist, das Frieden und Versöhnung fördert - jeder weiß, dass dadurch nur weiter Hass geschürt wird. Wir haben dem Präsidenten keine offizielle Antwort gegeben, aber im Gespräch mit Regierungsvertretern haben wir deutlich gemacht, wie sehr wir gegen dieses Vorgehen sind.

KNA: Seit Jahrzehnten gibt es Verhandlungsrunden, Gespräche, Friedensinitiativen. Waren alle Bemühungen umsonst?
Twal: Auch wenn es keine konkreten Ergebnisse gibt, so scheint mir doch auf internationaler Ebene das Bewusstsein gewachsen zu sein, dass eine Lösung für diesen Konflikt gefunden werden muss. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass der Frieden ein Gut ist, für das ein mutiger Preis gezahlt werden muss. Miteinander an einen Tisch zu kommen reicht nicht. Wir müssen bereit sein, umzukehren, unser Denken, unser Reden und unsere Mentalität zu ändern. Wenn wir einfach weitermachen wie bisher, wenn wir weiter Mauern aus Misstrauen, Ignoranz und Hass aufrichten - ganz zu schweigen von den sichtbaren Mauern - dann werden wir nie zu einer Lösung kommen.

KNA: Was können andere Länder tun?
Twal: Die internationale Staatengemeinschaft muss mehr Druck ausüben, damit es zu einer gerechten Lösung für alle kommt. Wir Christen im Heiligen Land brauchen kein Mitleid - wir brauchen konkrete Worte und Taten, die unsere Situation wirklich verändern.  

KNA: Zu Weihnachten haben Sie den Besuch von Papst Benedikt XVI. im Mai angekündigt. Kann er überhaupt kommen, nachdem die Situation wieder eskaliert ist?
Twal: Zunächst hoffen wir natürlich, dass diese schreckliche Situation bald beendet ist. Aber vielleicht brauchen wir gerade jetzt seinen Besuch mehr denn je: Der Heilige Vater ist eine unparteiische, ruhige Stimme, die zu allen Konfliktparteien sprechen kann - über Versöhnung, Vergebung und wahren Frieden. Und gerade solch eine Stimme brauchen wir jetzt. Ich glaube, dass die katholische Kirche im Moment die einzige moralische Instanz ist, die genügend Vertrauen genießt, um mit allen Seiten sprechen zu können; die für das Wohl aller ist, ohne gegen irgendjemanden zu sein, ohne zu verurteilen.

KNA: Die Bilder von Gaza gehen um die Welt und dort ist man sehr beunruhigt. Besteht die Gefahr, dass die Gewalt auch auf das Westjordanland und Jerusalem übergreift, dass es in Israel wieder verstärkt zu Attentaten kommt und die Pilger ausbleiben?
Twal: Da geht mein Appell an unsere eigenen Leute: Mehr Gewalt schadet uns allen, mehr Intifada schadet uns allen - den Palästinensern mehr als den Israelis. Wir dürfen die Situation jetzt nicht verschlimmern, sondern müssen das Rad anhalten. Wir haben auch die Pflicht, der Welt Vertrauen in dieses Heilige Land zu geben, sonst bleiben die Pilger wieder weg und unsere Wirtschaft bricht erneut zusammen. Hoffen wir, dass diese Krise so schnell wie möglich beendet wird.