Brasilien scheut Strafen für Diktatur-Verbrechen

Gerechtigkeit im Zwielicht

Chile, Argentinien und Uruguay arbeiten zügig Diktatur-Verbrechen auf und bestrafen Folterknechte von einst. In Brasilien dagegen kommt die Aufarbeitung der Vergangenheit kaum voran. Jetzt hat der jahrelang schwelende Streit um die Bestrafung berüchtigter Folteroffiziere erstmals eine Regierungskrise ausgelöst

Autor/in:
Klaus Hart
 (DR)

Der Streit lässt auch die Menschenrechtsaktivisten der katholischen Kirche hoffen: Menschenrechts-Staatssekretär Paulo Vannuchi kündigte seinen Rücktritt an, falls die Bundesanwaltschaft weiter Folteroffiziere vor Gericht verteidige. Bisher beruft sich der brasilianische Staat bei der Strafverfolgung auf das Amnestiegesetz von 1979, wonach Folterverbrechen nicht geahndet werden.

Auch Chile, Argentinien und Uruguay haben Amnestiegesetze, entschlossen sich aber, diese nach dem Ende der Militärdiktatur gemäß internationaler Rechtsabkommen neu zu interpretieren - und Folterer zu bestrafen. Brasilia hat solche Abkommen ebenfalls unterzeichnet, scheut sich aber, dem Beispiel der Nachbarländer zu folgen.

Kultur der Gewalt innerhalb der Polizei
Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva wies kürzlich an, die neu aufgeflammte Kabinettsdebatte zu beenden. Auch Justizminister Tarso Genro pfiff er zurück, der ebenfalls die Bestrafung der Folterer fordert. Doch das heizte die Diskussion nur zusätzlich an - zumal die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAE) kürzlich brasilianische Regierungsvertreter nach Washington zitierte, um sie über die Auslegung des Amnestiegesetzes zu befragen.

In der ersten Anhörung sah Brasilia schlecht aus, weil die OAE-Menschenrechtler wichtige Informationen von dem angesehenen Staatsanwalt Sao Paulos erhielten. Marlon Weichert warf der Regierung vor, Offiziere der politischen Polizei zu schützen, die nach dem Militärputsch von 1964 Regimegegner verfolgten, folterten und "verschwinden" ließen. Auf diese Weise fördere Brasilia bis heute eine Kultur der Gewalt innerhalb der Polizei, vor allem in den brasilianischen Gefängnissen. Nicht einmal die Öffnung der Geheimarchive aus der Diktaturzeit sei veranlasst worden.

In Sao Paulo führt Staatsanwalt Weichert mehrere Prozesse gegen frühere Diktatur-Offiziere und hatte erst unlängst den spanischen Richter Baltazar Garzon zu Gast. Der hatte 1998 die Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet angeordnet und sorgt derzeit mit Ermittlungen gegen des frühere Regime Francisco Francos für Schlagzeilen. In Sao Paulo bekräftigte Garzon seine Auffassung, dass Folter ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei und nicht verjähre.

Kardinal: Alle Folterer müssen bestraft werden
Kardinal Evaristo Arns, emeritierter Erzbischof von Sao Paulo, dürfte es mit Genugtuung gehört habe. Schließlich zählte er zu den erbittertsten Gegnern der Diktatur und hat viel zur Aufklärung von Regimeverbrechen beigetragen. Brasiliens Bischofskonferenz betonte in der Debatte erneut ihre Position: Alle Folterer müssten bestraft, die Diktatur-Geheimarchive endlich geöffnet werden. "Straflosigkeit darf es nicht geben", so der Bischofskonferenzvorsitzende, Erzbischof Geraldo Lyrio Rocha von Mariana.

Hunderte kirchliche Menschenrechtsaktivisten wurden in der Zeit der Diktatur gefoltert und ermordet. Befreiungstheologe Frei Betto erinnert sich noch genau an das, was er und viele andere in den Kerkern erleiden mussten. Einer seiner Dominikanerbrüder etwa habe unter den ständigen Folterquallen den Verstand verloren - und sich 1984 mit 28 Jahren in einem französischen Kloster das Leben genommen.