Sieben Jahre nach 9/11 - Experte will Terror mit Bildung bekämpfen

Frieden durch Bildung?

Überall in den USA haben die Menschen am Donnerstag in einer Schweigeminute der fast 3000 Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 gedacht. In New York herrschte bei der großen Zeremonie in der Nähe des Ground Zero um genau 8.46 Uhr absolute Stille. Um diese Zeit war das erste der entführten Flugzeuge in den Nordturm des World Trade Centers gerast. Im domradio-Interview erläutert der Pädagoge Prof. Dr. Ladenthin, wie man der Terrorgefahr in ZUkunft vorbeugen kann: Mittels dem Export von Bildung.

 (DR)

domradio: Die Anschläge vom 11. September sind die schrecklichsten und folgenreichsten Terrorakte der jüngeren Geschichte. Sind wir sieben Jahre später vor einem derartigen Fanatismus gefeit?
Prof. Dr. Volker Ladenthin: Niemand kann in die Zukunft schauen, auch Pädagogen nicht. Aber zumindestens kann man nach den Bedingungen fragen. Solange die Bedigungen zu diesen Fanatismus nicht beseitigt sind, muss man mit ähnlichen oder vergleichbaren Anschlägen schon rechnen.

domradio:Was sind denn Bedingungen für diesen Terror? Was kann diesen Fanatismus hervorrufen?
Prof. Dr. Volker Ladenthin: In der Regel werden ja politische Bedingungen genannt, aber die haben sich in den letzten 10 Jahren so dramatisch nicht geändert. Das muss also etwas anderes sein. Meinen Untersuchungen nach, sind die Bedingungen im Bildungsbereich zu suchen, das heißt, wir haben es bei Terroristen, bei den ausführenden, aber auch auch bei den planenden Terroristen, mit Menschen zu tun, die nicht in unserem Sinne gebildet sind. Sie mögen gut ausgebildet sein, sie mögen studiert haben, aber sie haben nicht gelernt, mit dem was sie dann erfahren haben, mit ihren technischen Wissen, vernünftig umzugehen.

domradio: Wie geht man denn vernünftig um mit dem, was man lernt?
Prof. Dr. Volker Ladenthin: Unsere Technik hat ja eine ganz besondere Eigenschaft. Das ist etwas Neues an dieser Technik. Die wird gewissermaßen unabhängig vom Leben vermittelt. Wir gehen in die Schule, da findet kein Leben statt, wir gehen in die Universität da findet pauken und lernen statt, aber wie man mit den Geräten, die man dort erlernt, umgeht, das lernen wir nicht mehr in diesen Institutionen wie Schule und Universität. Sondern unsere Technik vertraut darauf, dass die Menschen das im Alltag können. Also dass man selbständig mit dem Auto fahren kann und dass man im Internet vernünftige Dinge macht. Wir haben zwar die Technik exportiert, aber nicht diese Moralität im Umgang mit den Gegenständen. Nun verselbständigt sich die Technik.

domradio: Was heißt denn Moralität im Umgang mit den Gegenständen?
Prof. Dr. Volker Ladenthin: Wir können das an einem ganz alltäglichen Beispiel deutlich machen, am Internet: Der Slogan war ja immer: "Mit dem Internet kann man alles". Wenn man alles kann, kann man auch alles Böse mit dem Internet machen, aber wir vertrauen darauf, dass die einzelnen Menschen in unserer Kultur wissen, dass sie vernünftig und verantwortungsvoll damit umgehen. Wir untersagen Kinder bestimmte Bilder und Seiten aufzurufen. Wir rufen sie selber nicht auf, das heißt die Technik ist immer verbunden mit einer moralischen Anwendung dieser Technik. Wir haben ein Verantwortungsgefühl.

domradio: Warum haben wir dieses Gefühl, aber die Menschen in anderen Länder noch nicht?
Prof. Dr. Volker Ladenthin: Dieses Verantwortungsgefühl wird in den einzelnen Menschen fällig. Das heißt, wir sind selber für uns verantwortlich. Die Länder, die hauptsächlich die Terroristen stellen, haben ein anderes Konzept von Moral. Diese Moral wird verordnet. Es ist die gesellschaftlich übliche Moral. Nicht der Einzelne ist verantwortlich, sondern die Gesellschaft, die Institution, das politische System. Die Menschen sind nicht in der Lage, eigenverantwortlich zu handeln. Die tun, was man ihnen sagt, und das ist für uns ein riesengroßes Problem.

domradio: Sie sagen, nur Bildung kann auf Terror und Fanatismus so einwirken, dass sich diese Gesinnung auch verändert. Die Terroristen oder Fanatiker glauben, Kämpfer für Mohammed zu sein. Die Religion ist für sie das Hauptmotiv, einen solchen Terrorakt wie Selbstmordanschläge zu planen und zu begehen. Wie kann hier Bildung abhelfen?
Prof. Dr. Volker Ladenthin: Das ist ein sehr schönes Beispiel. In unserem Religionsverständnis ist es so, dass wir sagen, die religiösen Texte geben uns nicht moralische Regeln vor, da steht nicht drin, was ich morgen früh tun soll, sondern die religiösen Texte des Christentums. Das ist im Islam nicht anders, sie sagen uns nur, dass wir moralisch handeln sollen. Nicht gebildetete Menschen gehen anders mit diesen religiösen Texten um. Sie glauben, es sind unmittelbare Handlungsanweisungen. Also dieser Unterschied zwischen einem biblischen Text lesen und zu fragen wie ich richtig handle, dieser Unterschied wird von Menschen, die nicht diese religiöse Bildung haben, eingeebnet. Sie glauben, der religiöse Text ist eine unmittelbare Handlungsanweisung und das ist für uns wiederum fatal.

domradio: Was muss sich verändern, um Terror aus einer Gesellschaft auszusondern?
Prof. Dr. Volker Ladenthin: Also die Grundlage ist, dass wir lernen, dass wir unsere Technologien nur zusammen mit Bildung weitergeben dürfen. Wir dürfen nicht einseitig auf die Ausbildung von Ingenieuren setzen und alles weitere den Ländern überlassen. Sondern wir müssen gleichzeitig fordern, dass auch Werteüberlegungen, dass auch moralischen Überlegungen, der Umgang mit Geschichte, der Umgang mit Religion in unseren Verständnis gelehrt wird. Der deutsche akademische Austauschdienst (DAAD) macht diese Art von Kooperation ja durchaus mit unterschiedlichen Ländern, also auch mit muslimischen Ländern. Das muss man intensivieren. Wir können gegen diesen Terrorismus am besten vorgehen, wenn wir Bildung exportieren, wenn wir also Moralität, das Überlegen der Selbstverantwortlichkeit, exportieren.

domradio: Arabische oder muslimische Länder sind ja enorm reich. Warum schaffen diese Länder diese Art von Bildung nicht selbst?
Prof. Dr. Volker Ladenthin: Es ist gewissermassen die europäische Tradition der Aufklärung, die zu dieser enormen technischen Veränderung geführt hat, zu dem technischen Fortschritt, aber auch zu der Verantwortung die der Einzelne nun hat. Diese historische Entwicklung ist in dem Sinne nicht mitgemacht worden, sondern es ist die Technik nur übernommen worden, aber nicht in das Gesellschaftssystem intergriert worden. Überall wo wir statische Gesellschaften haben, also wo autoritär bestimmt wird was die Menschen zu tun haben, kommt es zu diesem Missverhältnis zwischen technischen Möglichkeiten und moralischer Verantwortung.

domradio: Wie können wir uns da austauschen?
Prof. Dr. Volker Ladenthin: Wir müssen die Bildungsprogramme intensivieren. Wir müssen unsere Wissenschaftler, aber vor allen die Kulturwissenschaftler in diese Länder schicken, nicht nur die Techniker. Umgekehrt müssen wir möglich viele Lehramtsstudenten, zukünftige Lehrer, aber auch Personen im Volksbildungsbereich zu uns einladen und an unseren Universitäten oder an unseren Schulen ausbilden.