Kulturmanagerin Michèle Pierre-Louis könnte neue Ministerpräsidentin des Landes werden

Haitis neue Hoffnung

Mit Effizienz und Courage kämpft sie gegen Armut, Korruption und Vorurteile. Die neue Hoffnung Haitis für eine funktionierende Regierung ist eine Frau: Beste Chancen auf das vakante Amt des Ministerpräsidenten hat die politische Außenseiterin Michèle Pierre-Louis.

Autor/in:
Matthias Knecht
 (DR)

Sie ist als dritter Vorschlag von Präsident René Préval vom Parlament angenommen worden, nachdem zwei Kandidaten die Gunst der Abgeordneten verfehlten. Nun muss der Senat noch seine Zustimmung geben. Dann wäre der Weg für das Ende der dreimonatigen regierungsfreien Zeit im ärmsten Land Lateinamerikas frei.

Die bisherigen Leistungen von Michèle Pierre-Louis sprechen für sich. Die 60-Jährige hat 40 Bibliotheken in Haiti aufgebaut und organisiert seit über einem Jahrzehnt landesweit Alphabetisierungskurse. 80 Prozent der 8,7 Millionen Haitianer leben in Armut. Die Tageszeitung "Le Nouvelliste" resümierte: "Sie hat zu Fortschritt und Entwicklung beigetragen" - und empfahl Pierre-Louis dringend zur Wahl. Seit den blutigen Hungerprotesten im April ist Haiti ohne Regierung. Am 12. April setzte der Senat den damaligen Premierminister Jacques-Edouard Alexis wegen angeblicher Untätigkeit angesichts der Hungerkrise ab.

Zustimmung wahrscheinlich, aber nicht sicher
Die Zustimmung für Pierre-Louis war wahrscheinlich, aber nicht sicher. Denn in beiden Kammern gewinnt eine parteienübergreifende Koalition der sogenannten "fortschrittlichen Parlamentarier" an Stärke. Präsident und Presse werfen ihnen vor, um jeden Preis eine funktionierende Regierung verhindern zu wollen. In Haitis Machtvakuum blüht das einträgliche Geschäft mit Drogenhandel und Entführungen.

In diesem Umfeld nimmt sich Pierre-Louis aus wie die "Lotusblüte im Morast", sagt die haitianische Journalistin Nancy Roc. Denn die in den USA ausgebildete Ökonomin gilt als absolut unbestechlich, effizient und zudem couragiert in sozialen Fragen. Seit 1995 leitet sie die von dem Milliardär Georges Soros finanzierte Kulturstiftung FOKAL in Haiti.

Mit landesweiten Alphabetisierungskursen, Literatur- und Kunstprojekten für die meist arme Bevölkerung gewann Pierre-Louis schnell an Bekanntheit - und Respekt. Denn die Frau mit dem offenen Blick verwaltet Millionen Hilfsgelder, ohne dass es bisher zu Unterschlagungen kam. In Haiti ist das eine bemerkenswerte Leistung.

Soros war es denn auch, der Pierre-Louis riet, den Sprung in die Politik zu wagen. Unterstützung findet sie auch bei den zahlreichen Menschen, die dank ihrer Arbeit lesen und schreiben lernten. Zudem riefen Exil-Haitianer, Wissenschaftler, Frauenorganisationen und Künstler zu ihrer Wahl auf.

Schon früher im politischen Schussfeld
Pierre-Louis' Gegner treten weniger offen auf. Kurz nach ihrer Nominierung am 23. Juni tauchten im Internet Gerüchte über ihre angeblichen lesbischen Neigungen auf. Seitdem ist in Haiti eine Debatte darüber entbrannt, wie die sexuelle Orientierung eines Regierungschefs sein muss. Evangelikale forderten gar in letzter Minute eine parlamentarische Untersuchungskommission zu dieser Frage, bisher erfolglos. Bewiesen ist ohnehin nichts. Pierre-Louis selbst äußert sich nicht zu ihrem Privatleben. Bekannt ist nur, dass sie von ihrem Mann getrennt lebt und eine erwachsene Tochter hat.

Pierre-Louis geriet schon früher ins politische Schussfeld und bewies Mut. Während der Präsidentschaft von Jean-Bertrand Aristide trat sie
2004 einmal allein den Gewehren der anrückenden Polizei entgegen, um ihre Mitarbeiter vor politisch motivierten Schikanen zu schützen.