Joachim Kardinal Meisner im Interview zum Tod von Chiara Lubich

Eine "große Erneuerin der Kirche"

Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner hat die in der Nacht auf Freitag verstorbene Gründerin der katholischen Fokolar-Bewegung, Chiara Lubich, gewürdigt. Im domradio-Interview nennt er Lubich eine "große Erneuerin der Kirche" und und erinnert sich an die vielen Treffen mit Lubich über Jahrzehnte hinweg.

Autor/in:
Karl Peters
 (DR)

"Sie gehört zu den großen Zeugen des Glaubens im ausgehenden 20. und im Beginn des 21. Jahrhunderts und ihr Werk lebt weiter". Kirchenvertreter aus ganz Europa würdigten das Wirken der Verstorbenen.

Der Kölner Kardinal hebt besonders die Verdienste der Fokolar-Bewegung zu Zeiten des Kalten Krieges hervor. Lubich habe "in der kommunistischen Zeit in Mittel- und Osteuropa vielen Menschen wirklich geholfen ihre schwierige Situation als Christen zu bewältigen."

"Sie ist uns nur vorausgegangen"
Der Bewegung wünscht Meisner, dass "jetzt die Mitglieder und Mitgliederinnen ihres Werkes, der Versuchung widerstehen - es nicht zur inneren Spaltung kommen zu lassen. Denn mit dem Tod eines Gründers einer geistlichen Bewegung ist die Gründerzeit vorbei und da zeigt es sich immer, dass dann der Teufel versucht Gegensätze aufbrechen zu lassen und Spaltungen hervorzurufen. Also ich bitte alle Mitglieder des Fokolars jetzt noch inniger zusammenzuhalten als vorher und Chiara Lubich ist ja nicht von uns weggegangen - sie ist uns nur vorausgegangen."

Papst würdigt Lubichs ökumenisches Wirken
Papst Benedikt XVI. hat sich "tief bewegt" über den Tod der Fokolar-Gründerin Chiara Lubich geäußert. In einem Beileidstelegramm an den Ko-Präsidenten der Bewegung, Oreste Basso, würdigte der Papst den unermüdlichen Einsatz Lubichs "für die Gemeinschaft in der Kirche, für den ökumenischen Dialog und die Brüderlichkeit zwischen allen Völkern".

Lubich habe sich in voller Treue zur Kirche und zum Papst den Bedürfnissen des Menschen von heute zugewandt, so Benedikt XVI. Er hoffe, dass alle, die ihr missionarisches Wirken bewunderten, ihren Spuren folgten und ihr Charisma lebendig hielten.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, nannte Lubich «eine der herausragenden Persönlichkeiten der Gegenwart». Mit ihrem «unermüdlichen Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden über alle Grenzen hinweg» habe sie ein eindrucksvolles und authentisches Zeugnis des Evangeliums gegeben.

Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen nannte Lubich eine "kraftvoll agierende Frau, die ihren Dienst in der Welt ganz vom Evangelium her verstanden hat". Lubichs Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit habe an vielen Orten der Erde Feuerstellen geschaffen, die von der menschenfreundlichen Botschaft Gottes kündeten. Thissen spielte damit auf den Namen der von Lubich gegründeten Fokolar-Bewegung an, die nach den Feuerstellen in den Bauernhäusern Norditaliens benannt ist.

Der Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), Colin Williams, nannte Lubich eine Frau mit einer Vision.

"Spiritualität der Einheit"
Lubich war in der Nacht zu Freitag im Alter von 88 Jahren im Fokolar-Zentrum Mariapoli bei Rom gestorben. Sie war eine der großen spirituellen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Die von ihr geprägte "Spiritualität der Einheit" machte sie zu einer Pionierin des ökumenischen und des interreligiösen Dialogs. Mit 23 Jahren gründete sie die Fokolar-Bewegung, deren Präsidentin sie bis zu ihrem Tod war. Die heute ökumenisch ausgerichtete Gemeinschaft, die sich besonders für menschliche Verständigung und einen Dialog der Glaubensrichtungen engagiert, zählt nach eigenen Angaben mehr als 140.000 Mitglieder in 182 Ländern.

Bis zum Tod war das Engagement von Chiara Lubich ungebrochen
Der Europarat ehrte sie 1998 mit dem Menschenrechtspreis; von der UNESCO erhielt sie 1996 den Preis für Friedenserziehung, und in London wurde sie 1997 mit dem Templeton-Preis für den Fortschritt der Religionen, dem "Nobelpreis der Theologie", ausgezeichnet. Die Liste der Ehrungen für Chiara Lubich ist lang. Wie kaum eine andere Frau wirkte die energisch auftretende und stets elegant gekleidete Gründerin und Präsidentin der Fokolar-Bewegung in den vergangenen Jahrzehnten in der katholischen Kirche und darüber hinaus.

Als Lubichs Heimatstadt Trient im Zweiten Weltkrieg von Bomben erschüttert wird, entschließen sich Tausende zur Flucht. Auch ihre Familie verlässt die Stadt, aber Chiara, die fünf Jahre zuvor ihre Ausbildung zur Hauptschullehrerin abgeschlossen hatte, bleibt. Mit einigen Freundinnen bezieht die 23-Jährige eine kleine Wohnung am Kapuzinerplatz - das erste Fokolar entsteht. Ziel der Gemeinschaft: das Leben ganz in den Dienst Gottes zu stellen, um frei zu sein für die Mitmenschen, für ein christliches Engagement in Gesellschaft und Kirche. Denken und Handeln sollen ganz vom Evangelium bestimmt sein.

Diesen Ideen fühlen sich die "focolare" - benannt nach den Feuerstellen in den alten Bauernhäusern der Gegend - bis heute verpflichtet. Was in Norditalien seinen Anfang nimmt, ist am Tage ihres Todes eine weltumspannende Bewegung von Christen aller Konfessionen. Rund fünf Millionen Menschen in 182 Ländern, so schätzt die Fokolare-Bewegung, stehen mit ihr in Verbindung, davon rund 140.000 als feste Mitglieder.

Der Weg zur Einheit führt nur über den Dialog, lautet das Motto der Bewegung um Chiara Lubich, die Anfang der 1960er Jahre erste ökumenische Aktivitäten startet. 1964 erteilt die katholische Kirche den Statuten der Fokolare eine päpstliche Approbation; 1990 werden sie vom Päpstlichen Laienrat als "private gesamtkirchliche Vereinigung päpstlichen Rechts" bestätigt.

Im Mittelpunkt der Arbeit steht das Engagement für Frieden und Gerechtigkeit. Die Bewegung betreut soziale Projekte in Afrika, Asien und Lateinamerika. Rund 20 Siedlungen in aller Welt stehen für die Spiritualität der Gruppe. Dabei handelt es sich um kleine Modellstädte mit Häusern, Lebensschulen und Betrieben, deren oberste Maxime die Liebe im Geist des Evangeliums ist. "Wenn es um die Sicherung des Friedens in der Welt geht", sagte Lubich einmal, "dürfen wir den Politikern nicht das Feld allein überlassen." Für die Mitglieder der Bewegung dürfte dies auch künftig die Richtschnur sein.