Das Interview im Wortlaut

Kardinal Meisner zum Tode Chiara Lubichs

Chiara Lubich, die Gründerin der Fokolar-Bewegung, starb in der Nacht zum Freitag im Alter von 88 Jahren im Fokolar-Zentrum Mariapoli bei Rom, wie ihre Gemeinschaft mitteilte. Lubich war eine der international prägenden Gestalten des Laienkatholizismus und der Ökumene. Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner erinnert im domradio-Interview an Lubich.

 (DR)

domradio: Herr Kardinal, heute nacht ist Chiara Lubich gestorben, Sie kannten sie.
Kardinal Meisner: Ja, ich kannte Chiara Lubich aus den letzten Jahrzehnten sehr intensiv. Ich bin ihr meistens in Rom begegnet, sie war Mitglied bei einigen Bischofssynoden, so dass wir uns vier Wochen lang gesehen haben und bei den Kaffeepausen auch einander begegnet sind. Und das letzte Mal als ich sie gesehen habe, war sie hier bei uns in Köln, bei mir hier im Haus und machte einen Besuch bei ihrer Fokolarfamilie und hat dabei auch den Erzbischof besucht.

domradio: Sie hat eine große Bewegung ins Leben gerufen, wie bewerten Sie die?
Kardinal Meisner: Das fing wie immer bei den großen Erneuerern der Kirche damit an, dass sie aus einer persönlichen Situation Ende des letzten Weltkrieges versucht hat, das Evangelium zu leben in den Bedrängnissen des Krieges. Daraus ist die Fokolarbewegung erwachsen, die heute auf der ganzen Welt verbreitet ist. Und namentlich in der kommunistischen Zeit in Mittel- und Osteuropa hat sie vielen Menschen wirklich geholfen ihre schwierige Situation als Christen zu bewältigen.

Wir hatten in Erfurt, als ich noch Weihbischof und Caritasrektor war, am katholischen Krankenhaus eine Gruppe Fokolarini-Ärzte und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im medizinischen Dienst. Auch in Berlin gab es die, im Elisabeth-Krankenhaus, auch in Leipzig, und das waren so Schwerpunkte und von dort ist es ausgestrahlt in die Gemeinden. Dann auch über die Grenzen der DDR weg nach Tschechien, nach Polen. In Tschechien hat die Fokolarbewegung besonders fruchtbaren Boden gefunden, da die Christenverfolgung dort eigentlich am intensivsten war und die Fokolarbewegung mit ihren Methoden auf diese Situation am besten reagieren konnte.

domradio: Der Erzbischof von Köln nimmt Chiara Lubich auch  mit ins Gebet?
Kardinal Meisner: Natürlich, sie gehört zu den großen Zeugen des Glaubens im ausgehenden 20. und im Beginn des 21. Jahrhunderts und ihr Werk lebt weiter. Ich kann nur wünschen dass jetzt die Mitglieder und Mitgliederinnen ihres Werkes, der Versuchung widerstehen - es nicht zur inneren Spaltung kommen zu lassen. Denn mit dem Tod eines Gründers einer geistlichen Bewegung ist die Gründerzeit vorbei und da zeigt es sich immer, dass dann der Teufel versucht Gegensätze aufbrechen zu lassen und Spaltungen hervorzurufen. Also ich bitte alle Mitglieder des Fokolars jetzt noch inniger zusammenzuhalten als vorher und Chiara Lubich ist ja nicht von uns weggegangen - sie ist uns nur vorausgegangen. Sie ist, wie ich das immer zu sagen pflege am Grab eines lieben Menschen, sie ist aus der linken Hand Gottes in die rechte Hand Gottes übergewechselt und über das Herz Gottes bleiben wir mit denen die uns vorausgegangen sind in echter Kommunikation.

Das Interview führte domradio-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen