Karlsruhe verwirft Verfassungsbeschwerde - Richter betonen "Bewahrung der familiären Ordnung"

Inzest weiterhin strafbar

Inzest steht in Deutschland auch weiterhin unter Strafe. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. Die geltende Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs zwischen Geschwistern sei verfassungsgemäß, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss. Das Inzestverbot sei zur "Bewahrung der familiären Ordnung" notwendig. Es sei auch ein Instrument zum Schutz der "Gesundheit der Bevölkerung", da es beim Inzest eine besondere Gefahr von Erbschäden gebe.

Autor/in:
Norbert Demuth
 (DR)

Der Paragraf 173 des Strafgesetzbuches (StGB), der den "Beischlaf zwischen leiblichen Geschwistern" mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, bleibt damit in Kraft. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung dürfe insoweit eingeschränkt werden, heißt es in dem Beschluss. Die "lebenswichtige Funktion der Familie für die menschliche Gemeinschaft" werde entscheidend gestört, wenn ihre Ordnung "durch inzestuöse Beziehungen ins Wanken gerät".

Die Entscheidung des Zweiten Senats geht auf den Fall des wegen Inzests verurteilten Geschwisterpaares aus dem sächsischen Zwenkau zurück, das vier gemeinsame Kinder hat. Die Verfassungsbeschwerde des Bruders blieb nun ohne Erfolg. Er war wegen Geschwisterinzests zu mehreren Freiheitsstrafen verurteilt worden.

Sein Anwalt Joachim Frömling will nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage einreichen. "Das ist der nächste logische Schritt", sagte er der Nachrichtenagentur ddp. Er sei vor allem über die Begründung des Gerichts enttäuscht, wonach die Unversehrtheit des Nachwuchses geschützt werden müsse. Diese "eugenische" Argumentation könne er nicht nachvollziehen.

Auch der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats, Gerichtsvizepräsident Winfried Hassemer, wich in einem Minderheitsvotum von der Entscheidung des Senats ab. Nach seiner Ansicht verstößt die Strafvorschrift zum Inzest gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es spreche viel dafür, dass die Bestimmung "lediglich Moralvorstellungen, nicht aber ein konkretes Rechtsgut im Auge hat", betonte Hassemer.

Die Richtermehrheit argumentierte, dass lediglich der "Vollzug des Beischlafs" zwischen leiblichen Geschwistern und damit "ein eng umgrenztes Verhalten" mit Strafe bedroht sei. Durch das strafrechtliche Inzestverbot würden "die Möglichkeiten intimer Kommunikation nur punktuell verkürzt". Betroffene würden nicht in eine "ausweglose Lage" versetzt. Es liege daher kein unzulässiger Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung vor.

Studien zeigten zudem, dass es bei Inzestverbindungen zwischen Geschwistern zu gravierenden familien- und sozialschädigenden Wirkungen kommen könne. Kinder aus Inzestbeziehungen hätten große Schwierigkeiten, ihren Platz im Familiengefüge zu finden.

Das Inzesttabu sei zudem "in der Gesellschaft verankert". Die gesellschaftliche Überzeugung von der Strafwürdigkeit des Inzestes sei auch im internationalen Vergleich festzustellen.

Die Strafdrohung in Deutschland sei auch nicht unverhältnismäßig. Der Strafrahmen erlaube es, besonderen Fallkonstellationen Rechnung zu tragen, in denen die "geringe Schuld" der Beschuldigten eine Bestrafung als unangemessen erscheinen lasse. Dies könne "durch Einstellung des Verfahrens", "Absehen von Strafe" oder besondere Erwägungen bei der Strafzumessung geschehen.