Ruhrbischof nennt Werks-Schließung "herben Rückschlag" - Kirchen machen mobil

Nokia: Connecting People?

Der Essener Bischof Felix Genn hat die geplante Schließung des Nokia-Werks in Bochum als "herben Rückschlag für den Strukturwandel" in der Region bezeichnet. "Dies ist kein gutes Signal für das Ruhrgebiet", erklärte er am Dienstag in Essen. Die Region habe im Landes- und Bundesvergleich wenig Anteil am konjunkturellen Aufschwung und weise in allen Städten Arbeitslosenzahlen im zweistelligen Prozentbereich auf. Die NRW-Regierung will nun prüfen, ob Nokia gegen Förderbedingungen verstoßen hat.

 (DR)

Genn beklagte, dass gut 2.000 Mitarbeitern durch die geplante Schließung des Handy-Werks Arbeitslosigkeit und der Verlust ihrer Lebensgrundlage drohten. Ökonomische Gründe allein dürften aber nicht den Ausschlag für die Firmengestaltung geben. Unternehmerisches Handeln solle die Verantwortung für Arbeitnehmer nicht ausblenden. Genn: "Im Mittelpunkt des Wirtschaftens steht der Mensch. Arbeit ist eine fundamentale Dimension menschlicher Existenz."

Gemeinsame Erklärung der Bochumer Kirchen
Der Schritt Nokias treibe die Arbeiter mit ihren Familien in soziale Not, gefährde ihre Lebens- und Zukunftsplanung und erschüttere sie in ihrer Existenz, erklärten der Superintendent des evangelischen Kirchenkreis Bochum, Fred Sobiech, und der Stadtdechant vom Katholischen Stadtdekanat Bochum, Hermann-Josef Bittern, am Mittwoch in Bochum. Die beiden Kirchenvertreter appellierten an die Unternehmensleitung, den Beschluss zu überdenken und gemeinsam mit Betriebsräten, Gewerkschaften und Politikern nach Lösungen zu suchen.

"Wir stehen in diesen Tagen in Gedanken, Worten und Taten an der Seite der Menschen, die um ihre Existenz fürchten müssen", heißt es in der gemeinsamen Erklärung weiter. Nokia habe auch Verantwortung für seine Bochumer Beschäftigten, betonten die Kirchenvertreter.

Nach dem jetzigem Kenntnisstand sei der Grund für die Unternehmensverlagerung nicht eine Bedrohung des Unternehmens gewesen, sondern eine Gewinnsteigerung, sagte Sobiech dem epd.
Aufgabe der Kirchen sei es, deutlich zu machen, dass solche Entlassungen nicht vom Himmel fielen. "Das ist von Menschenhand gemacht, und das ist schlecht gemacht", betonte Sobiech. Die Gemeinden seien aufgerufen, das Thema in den Gottesdiensten aufzugreifen. Auch ein gemeinsamer Besuch mit dem katholischen Stadtdechanten bei der Belegschaft ist laut Sobiech geplant.

Der finnische Mobilfunkhersteller Nokia hatte am Dienstag angekündigt, bis Mitte des Jahres seine Handy-Produktion in Deutschland und damit den Betriebsstandort Bochum aufzugeben. Die Produktion soll nach Osteuropa verlagert werden. Betroffen sind rund 2.300 der bundesweit etwa 3.200 Nokia-Mitarbeiter. Als Grund für die geplante Werksschließung wurden wirtschaftliche Aspekte genannt. Vor allem sei der Standort Bochum global nicht konkurrenzfähig, da die Produktion in Deutschland im internationalen Vergleich zu teuer sei.

Die Landesregierung in Düsseldorf sprach von einer "außerordentlich schmerzhaften Ankündigung für die Stadt und für die Region". Angesichts "erheblicher öffentlicher Gelder", die in die Weiterentwicklung des Nokia-Standortes in Bochum geflossen seien, stelle sich die Frage, "ob die Entscheidung wirklich unumstößlich ist", so die Düsseldorfer Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU). Der Deutsche Gewerkschaftsbund NRW forderte Nokia auf, die geplante Schließung zurückzunehmen.

NRW-Bank prüft Nokia-Verstoß gegen Förderbedingungen
Thoben hat nach Informationen der in Essen erscheinenden "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" die landeseigene NRW-Bank beauftragt, zu prüfen, ob Nokia zur Rückzahlung von 17 Millionen Euro Fördergeld gezwungen werden kann. Diese Subvention war 1999 mit der Verpflichtung an den Handy-Hersteller überwiesen worden, mindestens 2856 Arbeitsplätze in Bochum sicher zu stellen. Die Verpflichtung lief am 15. September 2006 aus. Das Ministerium schließt dem Bericht zufolge nicht aus, dass vor Ablauf der Frist die Zahl der Stellen darunter gelegen hat. Dann hätte Nokia gegen die Förderbedingung verstoßen.

Rüttgers will sich mit Schließung des Nokia-Werkes nicht abfinden
NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) will die geplante Schließung des Nokia-Werks in Bochum nicht hinnehmen. "Ich bin nicht bereit, den Kampf aufzugeben", sagte er am Mittwoch bei der Ankunft vor dem Unternehmen. Dort wurde er von rund 500 Demonstranten begrüßt, die zudem das Werkstor blockierten. Es sei hier, um mit Betriebsrat und Gewerkschaft eine "gemeinsame Strategie" zu finden, erklärte Rüttgers. Zudem setze er auf die Solidarität in
der Region.

Ob es eine Möglichkeit gebe, Fördergelder zurückzubekommen, werde geprüft, fügte er hinzu. Es könne nicht sein, dass ein Unternehmen Millionen vom Land und vom Bund bekomme und dann relativ kurz, nachdem die Bindungsfrist ablaufe, sage, "ok, das war's dann, jetzt gehe ich woanders hin".

Das Argument, die Lohnkosten seien zu hoch, wies Rüttgers als falsch zurück. Bei einem Anteil von unter fünf Prozent der Lohnkosten bei der Gesamtproduktion könne ihm keiner erklären, dass das der zentrale Grund gewesen sei. Für Nokia sieht er zudem einen möglichen Imageschaden, wenn in Deutschland der Eindruck entstehe, dass es sich bei dem Unternehmen "um so etwas wie eine Subventions-Heuschrecke" handele. Deutschland sei einer der größten Handy-Märkte der Welt, fügte er hinzu.

Experte: EU-Politik Schuld an Schließung des Nokia-Standorts
Für die Verlagerung des Bochumer Nokia-Standorts nach Rumänien macht der Bremer Wirtschaftsforscher Rudolf Hickel die europäische Subventionspolitik verantwortlich. "Die Belegschaft ist hoch motiviert, die Produktivität hoch. Deshalb können die hohen Arbeitskosten nicht der Grund für die Verlagerung sein", sagte Hickel der in Essen erscheinenden "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung".

Deshalb liege es auf der Hand, dass Nokia auf eine Ansiedelungshilfe im Rahmen der EU-Finanzierung aus sei. "Erst hat Nokia von der Landesregierung Finanzmittel im Bereich der Forschung- und Entwicklung erhalten. Jetzt sollen die EU-Investitionshilfen angezapft werden", sagte Hickel.

Gegen diese Fehlentwicklung sei die Politik gefordert. Die EU dürfe diese irrationale Standortkonkurrenz nicht noch per Subventionen anheizen. Für Deutschland forderte Hickel, die Vergabe öffentlicher Gelder mit einer "Rückzahlungspflicht bei Demontage der Produktionsstätte" zu verknüpfen.