Nach Redeverzicht des Papstes übt sich Italien in Selbstkritik

Eine Niederlage des Landes

Erschrocken, bestürzt und selbstkritisch haben italienische Politiker fast aller Parteien, Intellektuelle und Medien auf die Absage des Papstbesuchs in der römischen Sapienza-Universität reagiert. "Eine Niederlage des Landes", kommentiert der liberale "Corriere della Sera" in seiner Mittwochsausgabe. Doch die Spaltung zwischen einem "katholischen Italien" und einem "laizistischen Italien" hat eine lange Tradition.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Ministerpräsident Romano Prodi sprach von einem "unerträglichen Klima" der Intoleranz, von einer internationalen Blamage infolge der "beschämenden Gesten, Erklärungen und Haltungen", durch die Dozenten und Professoren den Papst zur Absage veranlassten. Ausgerechnet eine Universität, die allen voran zu Dialog und Offenheit verpflichtet sei, habe einem exponierten Repräsentanten der zeitgenössischen Religion und Kultur ein Redeverbot erteilt, bedauerte Wissenschaftsminister Fabio Mussi von den Linksdemokraten.

Staatspräsident Giorgio Napolitano, früher Mitglied der kommunistischen Partei, bekundete dem Papst in einem persönlichen Brief sein Bedauern. Romano Prodi, Chef der Mitte-Links-Regierung, versicherte dem Pontifex seine Solidarität und beschwor ihn geradezu, baldmöglichst zu einem Besuch in die italienische Hauptstadt zu kommen. "Keine Stimme darf in diesem Land schweigen, erst recht nicht die des Papstes."

Wie schon der freundlich-mahnende Hinweis des Papstes vor einer Woche auf Missstände in Rom, so geriet auch die Universitäts-Affäre in die innenpolitische Auseinandersetzung. Vertreter der konservativen Oppositions-Parteien warfen der Regierung Versagen und indirekt die Schuld an dem Dilemma vor.
Sie hätten zur Eskalation der vergangenen Tage allzu lange geschwiegen und das aggressive Auftreten laizistischer Kräfte toleriert. Der Vorgang erinnere an den Anti-Klerikalismus des 19. Jahrhunderts, von dem sich der gemäßigte Laizismus im Zuge einer gesunden Trennung von Kirche und Staat längst verabschiedet habe.

Die Spaltung zwischen einem "katholischen Italien" und einem "laizistischen Italien" hat eine lange Tradition. Der Kirchenstaat, die politische Rolle der Päpste und die lange prägende Kraft der Kirche erzeugten einen Anti-Klerikalismus, der im Zuge der Staatsbildung Italiens 1870 einen Höhepunkt erreichte. Die neuen Machthaber setzten damals die Trennung von Kirche und Staat mit kulturkämpferischer Härte durch. Laizismus und Katholizismus sollten in völlig getrennten Bahnen verlaufen, die sich nicht berührten und deshalb nie in Konflikt geraten könnten. Mit den Lateran-Verträgen von 1929 und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich auch in Italien eine einvernehmliche Trennung von Kirche und Staat eingespielt, mit manchen Berührungspunkten und gemeinsamen Betätigungsfeldern.

Laizistische Hardliner sehen aber die strikte Trennung beider Sphären weiterhin gefährdet. Sie befürchten allenthalben Einmischungsversuche und ein Vormachtstreben der Kirche im Staat. Dass die alten Fronten durchaus weiterbestehen und bei bestimmten Gelegenheiten wieder neu aufbrechen, zeigten etwa die erbitterte politische Auseinandersetzungen um Ehescheidung (1974) und Abtreibung (1978). Und auch der erfolgreiche Boykott, mit dem Roms Kardinalvikar Camillo Ruini 2005 das Referendum zur Liberalisierung der Fortpflanzungsmedizin kippte, hat laizistische Kräfte auf den Plan gerufen - die jetzt an der Sapienza-Universität den Papstbesuch verhinderten.