Kardinal Lehmann kritisiert Stammzellgesetz-Reformer - Gegner der Stichtagsverschiebung reichen Antrag ein

"Der Streit ist heftig"

Kardinal Karl Lehmann hat den Befürwortern einer Stammzellgesetz-Reform vorgeworfen, den moralischen und rechtlichen Status des Embryos zu ignorieren. Von der Vereinigung von Ei- und Samenzelle an sei der Embryo ein Mensch, betont der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz in einem Beitrag der Wochenzeitung "Die Zeit". Am Mittwoch haben sich einem Gruppenantrag Abgeordnete aller Bundestags-Fraktionen gegen eine Änderung der bestehenden Stichtags-Regelung ausgesprochen.

 (DR)

Hier gehe es um ein "grundlegendes Datum menschlichen Lebens, das man nicht durch Verantwortungsethik und Güterabwägung" relativieren dürfe. Es führe kein Weg an der Einsicht vorbei, dass zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen Embryonen getötet werden müssten.

Damit distanziert sich Lehmann auch vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, der eine einmalige Verschiebung des Stichtags zum Import embryonaler Stammzellen befürwortet und in der Debatte "Züge eines Kulturkampfs" kritisierte. Lehmann bemängelt seinerseits, dass der 2002 gefundene Kompromiss beim Stammzellgesetz nicht lange gehalten habe. "Der Streit ist heftig", so der Bischof.

Nach den Worten des Kardinals gibt es keinen Moment in der Entwicklung, an dem man sagen könne, erst hier werde der Embryo zum Menschen. Zwar werde immer wieder versucht, das Menschsein erst mit späteren Phasen der Entwicklung wie der Einnistung, der Gehirnreifung oder der Geburt beginnen zu lassen. Aber auch wenn die Entwicklung in Stufen verlaufe, handele es sich in jedem Stadium um einen embryonalen Menschen. Lehmann: "Der Mensch wird nicht zum Menschen, sondern ist von Anfang an Mensch." Dafür gebe es gerade von der Embryologie her gute Argumente und Belege.

Der Bischof widersprach insbesondere der Meinung, die wahre Menschwerdung geschehe bei seiner Einnistung in die Gebärmutter. Zwar sei diese entscheidende Phase der Implantation nicht gering zu schätzen, da der Embryo auf die besonderen Umweltbedingungen durch die Mutter angewiesen sei. Deswegen dürfe das "Eigenpotenzial des Embryos" aber nicht verschwiegen werden. Eine Entwicklung sei überhaupt nur möglich, "wenn ein Programm vorhanden ist, das schon sehr früh die Aktivität der beteiligten Gene koordiniert."

In Deutschland dürfen nur solche Stammzellen zur Forschung verwendet werden, die vor dem Stichtag 1. Januar 2002 im Ausland gewonnen wurden. Damit soll verhindert werden, dass ein Anreiz zur Vernichtung weiterer menschlicher Embryonen geschaffen wird. Noch im Frühjahr will der Bundestag darüber abstimmen, ob dieser Stichtag verschoben oder ganz aus dem Gesetz gestrichen wird.

Abgeordnete organisieren die Verteidigung des Stammzellgesetzes
Beim Ringen um das Stammzellgesetz werden die Linien im Bundestag klarer. Am Mittwoch stellten die Gegner einer Aufweichung des geltenden Gesetzes ihren Antrag offiziell vor - Abgeordnete von Grünen, Union, SPD und FDP. "Uns eint über die Parteigrenzen hinweg der Wille, den Kompromiss aus dem Jahr 2002 zu erhalten", sagte die grüne Forschungspolitikerin Priska Hinz.

Stattdessen sollen alternative Forschungswege, bei denen keine menschlichen Embryonen verbraucht werden, weiter gestärkt werden.
Damit liegen in einer seit Monaten umstrittenen Frage nun offiziell drei konkurrierende Konzepte vor.

Spätestens seit dem CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember, der nach heftigem Werben von Parteichefin Angela Merkel in knapper Abstimmung die Tür für eine Liberalisierung offenhielt, ist das Thema politisch geladen. So spannend wie im Winter 2001/2002, als das Parlament erstmals darum rang, ob Forscher in Deutschland Stammzellen aus menschlichen Embryonen verbrauchen dürfen. Damals kam als Kompromiss die Importregelung mit dem Stichtag 1. Januar 2002 heraus. Ein Kompromiss, der vielen deutschen Forschern nicht reicht.

Doch der Widerstand gegen eine Liberalisierung wächst. Die CDU-Bioethikexpertin Julia Klöckner warnt vor einer Abstufung von Wert und Würde des Menschen. "Wir dürfen den Embryo nicht weiter instrumentalisieren", meint sie und kritisiert die Forderung von Reproduktionsmedizinern, das Embryonenschutzgesetz gleich ganz zu kippen. Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) sieht die steigende Gefahr von Manipulationen und Missbrauch.

115 Abgeordnete tragen bislang diesen Kurs mit, der dem Ansinnen von Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) entgegensteht.
Dabei dominiert eine schwarz-grüne Koalition, wobei die Grünen mit allem, was einen Namen hat, noch prominenter vertreten sind als die Union. Dort finden sich unter anderem Fraktionschef Volker Kauder (CDU), zwei CDU-Staatministerinnen aus dem Bundeskanzleramt, auch Friedrich Merz, aber kein richtig prominenter CSU-Vertreter. Einige wenige Linkspolitiker. Erstmals findet sich bei einem forschungskritischen Antrag mehr als ein FDP-Name, insgesamt vier.

Die anderen Konzepte wollen mehr Stammzellforschung zulassen. Sie sind deshalb regelrechte Gesetzesvorlagen. Den weitestgehenden "Entwurf eines Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin" tragen nach Angaben der Liberalen Ulrike Flach derzeit 85 Abgeordnete mit, 43 der FDP sowie je 20 von SPD und Union. An die 20 Vertreter der Linkspartei, die für ihn stimmen wollen, unterschrieben nicht, weil forschungsfreudige Unions-Parlamentarier drohten, sonst von der Fahne zu gehen.

Schwierige Gemengelage
Derzeit gut 100 Abgeordnete - 61 aus der SPD, rund 40 von CDU/CSU
- wollen den Stichtag ein einziges Mal auf Mai 2007 verschieben.
Das heißt, dass zwar verschiedene Minister, aber kaum ein Fünftel der Unionsfraktion den Kurs Schavans offen mitträgt. In der Fraktion, meint Klöckner, gebe es eben ein anderes Bild als beim Parteitag.

Die Hälfte aller Parlamentarier bekennt sich nun offen zu einem Weg. Die begrenzte Zahl ist keine Überraschung. Auch 2002 legten sich viele nicht frühzeitig fest, wollten die große Debatten abwarten, sich vielleicht auch nicht outen. Die SPD-Fraktion will erst am Dienstag das Thema erörtern. In der Union sympathisieren nach wie vor einige Abgeordnete damit, als Gegenentwurf zur völligen Liberalisierung ein generelles Nein zur Forschung mit embryonalen Stammzellen zu fordern. Noch vor Ostern soll sich der Bundestag erstmals mit dem Thema befassen. Es wird eine seiner spannenderen Debatten werden.