"Erziehungscamps" in der DDR: In Jugendwerkhöfen sollten "Rowdys" Disziplin lernen

Umerziehung mit Schocktherapie

Dass es noch schlimmer kommen könnte, hätte er nicht gedacht. Dann schloss sich das schwere Eisentor hinter ihm, zur Begrüßung schleuderte ihm einer der Aufseher einen Schlüsselbund ins Gesicht. Und nach drei Tagen Einzelarrest wusste er: Es geht immer noch schlimmer. Stefan Lauter, heute 40 Jahre alt, hat diese Erfahrung im Jahr 1985 in der DDR gemacht. "Versuche, jungen Menschen Disziplin und Respekt mit Hilfe von Angst und Bedrohung beizubringen, funktionierten nicht", kommentiert Lauter die aktuelle Diskussion über den Umgang mit auffälligen Jugendlichen.

 (DR)

Wegen Disziplinlosigkeit und "Rowdytum" war er in den geschlossenen Jugendwerkhof nach Torgau verlegt worden, eine Erziehungseinrichtung der DDR-Jugendhilfe für junge Menschen, mit denen sie meinte, nicht mehr fertig zu werden.

Jugendliche nicht für gesellschaftliche Verfehlungen haftbar machen
Wenn er heute Politiker über "Disziplin" und Erziehungscamps" reden hört, winkt er nur ab. Versuche, jungen Menschen Disziplin und Respekt mit Hilfe von Angst und Bedrohung beizubringen, funktionierten nicht - dies ist die Lehre, die Lauter aus den dreieinhalb Monaten in Torgau gezogen hat. Justiz und Jugendhilfe beschritten den falschen Weg, wenn sie meinten, auffällige Jugendliche für gesellschaftliche und politische Verfehlungen haftbar machen zu können. "Hier werden Jugendliche für etwas verantwortlich gemacht, wofür die nichts können", sagt Lauter.

Er selbst konnte für seine Einlieferung nach Torgau auch nicht viel. Seine Mutter war 1982 der Meinung, mit ihrem Sohn, der gerade ein Moped gestohlen hatte, nicht fertig zu werden, wandte sich in Ost-Berlin an die DDR-Jugendbehörden und beantragte eine Einweisung in ein Jugendheim. Das gefiel dem jungen Stefan gar nicht mit der Folge, dass er immer aggressiver wurde. Was wiederum die DDR-Erzieher nicht duldeten. Am Ende folgte die Einweisung nach Torgau, die letzte Maßnahme, die die DDR kannte, um aus vermeintlich Kriminellen durch Umerziehung wieder eine "sozialistische Persönlichkeit" zu formen.

Jede Bewegung im Laufschritt
Diese "Umerziehung" begann zunächst mit einer Schocktherapie: Drei Tage Einzelarrest in einer abgedunkelten, acht Quadratmeter großen Zelle inklusive Blecheimer als Abort sollten in den Delinquenten eine "explosive Veränderung" des Verhaltens auslösen, wie es der ehemalige Anstaltsdirektor Horst Kretschmar beschrieb. Was folgte, war militärischer Drill: Sport als Strafe, Schikane und stupide handwerkliche Arbeiten.

Stefan Lauter ist noch heute schlecht zu sprechen auf solche angeblichen Disziplinierungsmaßnahmen. Wenig Verständnis hat er dafür, dass in Hessen Lothar Kannenberg in seinem mittlerweile berühmt gewordenen Jugendcamp mit ähnlichen Methoden arbeitet. "Das System ist doch das gleiche", empört sich Lauter: Disziplinierung durch Angst und Strafandrohung. Was dort vollzogen werde, sei "tagtägliche Körperverletzung und ein Verstoß gegen die Grundrechte". Er habe bereits im vergangenen Jahr Strafanzeige gegen Kannenberg gestellt.

Grenzen viel früher ziehen
Lauter hält indes von der sogenannten Kuschelpädagogik mit Erlebnisreisen für Serienstraftäter auch nichts. Brutalen Schlägern müssten sehr wohl Grenzen aufgezeigt werden, betont er. Aber dies müsse viel früher passieren. Das Geld, das in Jugendarrest und -haft fließe, müsse in die Sozialarbeit investiert werden, um gefährdeten Kindern und Jugendlichen so früh wie möglich eine Alternative aufzuzeigen, mit Freizeitangeboten, Sport und pädagogischer Betreuung.

Lauter hat nach seiner Zeit in Torgau wieder zurück ins Leben gefunden. Einen Tag vor seinem 18. Geburtstag wurde er 1985 aus dem Jugendwerkhof entlassen, "einen Tag später saß ich allein in meiner ersten Wohnung". Es habe ihm geholfen, auf eigenen Füßen zu stehen und Verantwortung für sich selbst zu tragen.