Polen: Staatsanwaltschaft prüft Buch auf Verleumdung der Nation

"Mitschuld der Kirche"

Wegen des Verdachts der Verleumdung der polnischen Nation prüft die Staatsanwaltschaft Krakau das am Freitag in Polen erschienene Buch "Die Angst" des US-Historikers Jan Tomasz Gross. Es handele sich bislang um eine Voruntersuchung und kein Ermittlungsverfahren, zitierten polnische Medien die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Boguslawa Marcinkowska. Der 60-jährige Professor der Universität Princeton schildert in dem Buch antisemitische Hetzkampagnen und Gewaltakte in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg.

 (DR)

Die Prüfung wurde nach Angaben der Sprecherin von Amts wegen eingeleitet. Mehrere Historiker und konservative Publizisten hatten Gross zuvor Geschichtsfälschung vorgeworfen. Auf öffentliche Verleumdung der Nation steht in Polen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

"Propagandistische Anklage"
Das staatliche Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) veröffentlichte am Freitag eine Gegenpublikation. Sie führt für die Ermordung von Dutzenden Juden durch polnische Nationalisten politische Motive an, jedoch keine ethnisch-rassistischen. Die konservative Tageszeitung "Rzeczpospolita" bezeichnete das Buch als "propagandistische Anklage", die den jüdisch-polnischen Dialog erschwere.

Gross stellt das Pogrom vom 4. Juli 1946 im zentralpolnischen Kielce, bei dem rund 40 Juden ermordet wurden, in den Mittelpunkt seines Buches mit dem Untertitel "Antisemitismus in Polen nach dem Krieg. Ein historisch-soziologischer Essay". Bis zu 200.000 polnische Juden hätten das Land bis 1950 wegen antisemitischer Hetzkampagnen und Gewaltakten verlassen.

Im Interview der Tageszeitung "Rzeczpospolita" (Freitag) gibt der Autor Polens katholischer Kirche eine Mitschuld am Antisemitismus der Nachkriegsjahre. Die Bischöfe hätten ihre damalige Prüfung "überhaupt nicht" bestanden, so Gross. Als einziger Bischof habe sich damals Teodor Kubin aus Czestochowa (Tschenstochau) gegen Gerüchte von angeblichen jüdischen Ritualmorden an christlichen Kindern gewandt. Dafür hätten ihn andere Bischöfe öffentlich kritisiert, was im kommunistischen Polen beispiellos gewesen sei. Das Gerücht von einem jüdischen Ritualmord war Anlass für das Pogrom in Kielce.

Gross, der 1969 von Polen in die USA auswanderte, äußerte die Hoffnung, dass das Buch zu einer "Selbstreinigung" der Polen beitrage. Bereits mit seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch "Nachbarn" hatte Gross im Land eine heftige Debatte ausgelöst. Es handelte von dem 1941 begangenen Massenmord an Juden im nordostpolnischen Jedwabne.