Im Streit um Jugendgewalt gehen Koalitionäre aufeinander los - Koch will Entschuldigung Strucks

Im "Pulverdampf des Wahlkampfs"

Die Auseinandersetzungen um Kriminalität unter Jugendlichen und Ausländern belastet immer mehr die große Koalition. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla forderte die SPD nach den Angriffen ihres Bundestagsfraktionschefs Struck auf Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) am Samstag zur Mäßigung auf. SPD-Chef Beck warf Koch vor, von eigenen Versäumnissen abzulenken. Koch sagte, er spreche für die Opfer krimineller Gewalt und forderte eine Entschuldigung von Struck. Der SPD-Politiker hatte unterstellt, Koch sei eigentlich froh gewesen sei, dass im München zwei junge Ausländer einen deutschen Rentner zusammengeschlagen haben.

 (DR)

Pofalla sagte, Strucks Attacken könnten Auswirkungen auf die weitere Zusammenarbeit in der großen Koalition haben. "Ich kann die Sozialdemokraten nur dringend auffordern, sich endlich zu zügeln", sagte er. Die SPD habe einen Ton angeschlagen, der selbst mit laufenden Landtagswahlkämpfen nicht zu rechtfertigen sei. Im Bereich der Jugendgewalt gebe es Gesetzeslücken. So könne ein jugendlicher Straftäter, der zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wird, nicht zusätzlich mit einem Arrest bestraft werden. "Dieser Jugendliche gewinnt leicht den falschen Eindruck, dass er Straftaten begehen kann, ohne dass das Folgen für ihn hat. Deshalb brauchen wir dringend den 'Warnschussarrest' neben der Bewährungsstrafe", sagte Pofalla. Die von der Union geforderten Gesetzesverschärfungen sollten für alle gelten, unabhängig von Herkunft und Gesinnung.

Beck sagte, Deutsche und Nichtdeutsche sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Kochs Politik der inneren Sicherheit sei vom Abbau bei Polizei und Justiz geprägt. "Gewalt ist kein Mittel und darf nicht akzeptiert werden", betonte er. Mit Strafrechtsverschärfungen sei jedoch nichts gewonnen. Es komme vielmehr auf rasche Strafverfahren gegen die Täter und schnelle Konsequenzen an.

Koch sagte, wegen Strucks Äußerung fehlten ihm fast die Worte. "Ich glaube, er täte sich einen Gefallen, wenn er sich entschuldigen würde", fügte er hinzu. Zugleich wies Koch die Kritik zurück, sein Wahlkampf sei ausländerfeindlich. Die "türkischen Vertreter" sollten keine türkische nationale Stimmung machen, sondern sich als Bürger um die Sicherheit in Deutschland kümmern. Er werde sich von ihnen nicht den Mund verbieten lassen. Er habe inzwischen rund 2500 Briefe, E-Mails und Faxe erhalten. Darin bestärkten ihn nicht nur viele Deutsche, sich nicht mundtot machen zu lassen. "Es sind auch eine ganze Reihe Briefe von Türken dabei, denen die Lösung dieses Problems genauso wichtig ist", sagte Koch.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte mehr Möglichkeiten zur Abschiebung krimineller Ausländer. Er wolle gesetzlich festschreiben, dass Täter bei Gewaltverbrechen auch abgeschoben werden können, wenn sie schon einen
"verfestigten Aufenthaltsstatus" genießen. "Ausländer, die fortgesetzt straffällig werden, haben kein Recht, weiter in Deutschland zu bleiben", sagte Herrmann. Schon kommende Woche werde das bayerische Kabinett dazu eine Bundesratsinitiative beraten.

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte, mit der Abschiebung von Gewalttätern ohne deutschen Pass habe er das geringste Problem. Eine Debatte über das Jugendstrafrecht sei aber erst möglich, wenn sich "der Pulverdampf des Wahlkampfs" verzogen habe. Einen "Warnschussarrest" wolle er aufgeschlossen prüfen. Auch über einen Führerscheinentzug als Sanktion gegen kriminelle Jugendliche könne man reden.

Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) widersprach der Aussage von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), ein "Warnschussarrest" sei im Jugendstrafrecht schon heute möglich. "Frau Zypries liegt falsch", sagte Mackenroth. "Den Warnschussarrest, wie wir ihn uns vorstellen, verbietet zurzeit das Jugendgerichtsgesetz. Deshalb muss es geändert werden", forderte er. Derzeit könne der Arrest im Jugendstrafrecht nicht mit einer Jugendstrafe kombiniert werden.

Der Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), unterstützte Kochs Forderung nach einer stärkeren Anwendung des Erwachsenenstrafrechts für jugendlich Straftäter. Bei "Hardcore-Serientätern" laufe der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts ins Leere. Eine Verschärfung des Strafrechtes halte er allerdings für unnötig. "Wir müssen das bestehende Recht nur konsequent anwenden", sagte er.