Mainzer Moraltheologe Reiter zur Stammzelldebatte - Auch evangelische Bischöfe gegen Fristverlängerung

"Der Fundamentalismus-Vorwurf ist unredlich"

In der Debatte um das Stammzellgesetz hat der Mainzer Moraltheologe Johannes Reiter den Vorwurf des Fundamentalismus gegen die katholische Kirche zurückgewiesen. "Wenn Leben von Menschen manipuliert, bedroht, verwertet oder vernichtet werden soll, muss die Kirche aufschreien", sagte der katholische Theologe am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Entgegen der Marschrichtung des Vorsitzenden der Evangelischen Kirche, Bischof Huber, haben sich nun auch protestantische Bischöfe gegen eine Verschiebung des Stichtages ausgesprochen.

 (DR)

Reiter erläuterte, auch in der Menschenrechtserklärung der UNO und im Grundgesetz sei der Lebensschutz garantiert: "Keiner käme auf die Idee, hier fundamentalistische Positionen zu sehen."

Der Theologe kritisierte Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), die sich für eine einmalige Verschiebung des Stichtags für den Import von Stammzellen ausspricht. Ihr Argument, embryonale Stammzellen wüden nur noch zu Vergleichsmöglichkeiten mit adulten Stammzellen gebraucht, trage nicht, sagte Reiter. Wissenschaftler, die an adulten Stammzellen forschen, hätten ihm versichert, dass diese Vergleiche in der Forschung "nicht ausschlaggebend" seien. Zudem könne auch eine zeitlich begrenzte Forschung mit embryonalen Stammzellen, um diese langfristig überflüssig zu machen, ethisch nicht gebilligt werden. Denn auch dabei würden Embryonen zerstört.

Reiter ist Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission bei der Bundesärztekammer, war Mitglied der Enquete-Kommission zur Biomedizin des Bundestags und gehört der vom Papst berufenen Internationalen Theologenkommission an. Er warnte davor, in dieser Frage einen Keil zwischen Katholiken und Protestanten zu treiben. Es gebe auch evangelische Bischöfe, die eine Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken ablehnten. Auch der evangelische Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, habe diese Position bis November 2006 so vertreten und erst danach seine Meinung geändert. Huber hatte sich Ende Dezember erneut für eine einmalige Verschiebung des Stichtags ausgesprochen und die katholische Kirche wegen ihres generellen Neins zur Lockerung des Stammzellgesetzes kritisiert.

Bischof Friedrich gegen jede Aufweichung des Embryonenschutzes  
Der Embryonenschutz muss dagegen nach Überzeugung des bayerischen evangelischen Landesbischofs Johannes Friedrich ohne jede Einschränkung aufrecht erhalten werden. Eine wissenschaftliche Forschung mit Embryonen sei ethisch nicht zu verantworten, weil dies eine "Tötung menschlichen Lebens" sei, sagte der Bischof am Mittwoch im Münchner Presseclub. Deshalb könne die Kirche auch keine Aufweichung des "Stichtags" für die Stammzellforschung akzeptieren.

Wenn der "Stichtag" nur ein einziges Mal verschoben würde, sei ein Dammbruch zu befürchten, sagte Friedrich, der auch Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands ist. Die Embryonen-Forschung habe bisher noch keine Ergebnisse gebracht, durch die etwa Krankheiten geheilt werden könnten. Auch deshalb gebe es keinen Grund für eine Verschiebung des Stichtages, ergänzte der Bischof.

Evangelischer Sozialethiker mahnt Kirchen zur Verständigung
Mit Blick auf die angestrebte Änderung des Stammzellgesetzes hat der evangelische Theologieprofessor Trutz Rendtorff die beiden Kirchen zur Verständigung gemahnt. Wenn die Kirchen sich über die zwischen ihnen bestehenden Differenzen zumindest offen verständigten, könnte dies ein hilfreicher Beitrag zur ethischen Kultur sein, schreibt der Sozialethiker in einer Leserzuschrift an die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Donnerstagsausgabe).

An der grundsätzlichen Regelung des Stammzellgesetzes würde sich weder durch eine Verlegung des Stichtags noch durch eine alternative Einzelfallprüfung etwas ändern, schreibt Rendtorff, der lange Zeit das maßgebliche EKD-Beratungsgremium, die Kammer für Öffentliche Verantwortung, leitete. "Die sogenannte Gewinnung von humanen Stammzellen bliebe in Deutschland in jedem Fall weiterhin verboten, die Forschung an bereits vorhandenen Stammzelllinien dagegen wäre wie bisher unter gesetzlich geregelten und kontrollierten Bedingungen zugelassen."

Den Kritikern einer Verschiebung hält Rendtorff entgegen, sie zielten auf ein generelles Forschungsverbot ab. Die "maßlos zugespitzte" Debatte zur Stammzellforschung werde auch von Stimmen aus der römisch-katholischen Hierarchie angefeuert, so der Theologe. Allerdings sei es wenig wahrscheinlich, "dass die lauten Stimmen der Kritik einen katholischen Konsens repräsentierten".

Derzeit dürfen Wissenschaftler in Deutschland nur an embryonalen Stammzelllinien forschen, die vor 2002 gewonnen wurden. Die CDU hatte auf ihrem letzten Parteitag in Hannover beschlossen, eine Lockerung dieses Stichtages für den Import von embryonalen Stammzellen nach Deutschland nicht auszuschließen. Dieser Beschluss war auf massive Kritik vor allem in der katholischen Kirche gestoßen.