Ältere Opfer von häuslicher Gewalt finden kaum Hilfe

Geschlagen, beleidigt, gedemütigt

Brutale Gewalt an Kindern und Kleinkindern beherrschten in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen. Was aber alte Menschen in ihren eigenen vier Wänden an gewalttätigen Übergriffen erdulden müssen, darüber spricht kaum jemand. Dabei leiden viele Tausende Senioren unter alltäglichen Qualen, zugefügt von Verwandten, Bekannten und Betreuern. Öffentliche Hilfsangebote sind Mangelware.

Autor/in:
Johannes Bentrup
 (DR)

"Experten gehen davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der über 65-Jährigen, die zu Hause leben, Gewalt erleiden", sagt Dieter Hirsch von der Bonner "Initiative gegen Gewalt im Alter  Handeln statt Misshandeln". Alte Menschen würden beschimpft und in Zimmer eingesperrt. Auch Entzug von Essen und sogar regelmäßige Schläge kämen vor, so der Gerontopsychiater.
Thomas Görgen von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster spricht von "paradiesisch anmutenden Tatbegehungs- und Tatverdeckungsmöglichkeiten". Fast alle Übergriffe blieben im Verborgenen. Folglich lägen zur häuslichen Gewalt an über 80-Jährigen, Dementen und mehrfach Hilfsbedürftigen keine verlässlichen Ergebnisse vor, sagt der Psychologe und Kriminologe.

Ähnlich wie Kinder seien pflegebedürftige alte Menschen als "systematisch Schwächere" einem hohen Risiko ausgesetzt, Opfer von Misshandlungen zu werden, hat auch die Frankfurter Rechtswissenschaftlerin Gisela Zenz beobachtet. Die Überforderung der Pflegenden, aufbrechende Familienkonflikte oder "permanentes Nörgeln" der Hilfsbedürftigen seien Gründe dafür.

Es gebe aber keine kommunale Stelle, an die sich ältere Opfer von häuslicher Gewalt wenden könnten, kritisiert Zenz. Auch Hausnotrufsysteme würden zumeist nur bei Pflegebedürftigkeit installiert, obwohl etwa die Hälfte der älteren Gewaltopfer nicht pflegebedürftig seien.

Letztlich bleibe nur das Strafrecht, bedauert Zenz. Dies habe aber nicht die Hilfe für die Opfer im Blick, sondern ziele auf die Bestrafung der Täter. Im Übrigen seien die psychologischen Hürden, einen potenziellen Täter aus der Familie bei der Polizei anzuzeigen, sehr hoch.

Umso wichtiger sind Beratungsstellen wie die Bonner "Initiative gegen Gewalt im Alter". Nach ihren Angaben klingelte dort in den vergangenen zehn Jahren 28.730 Mal das Telefon. Die Mitarbeiter führten dann Gespräche oder vermittelten Kontakte zu anderen Experten oder Organisationen.

Empfehlungen zur Vorbeugung und Intervention bei Gewalt gegen alte Menschen erarbeitete bereits 2005 der 16. Deutsche Familiengerichtstag. Dazu gehören eine stärkere Unterstützung der Familien, die pflegen, und die Weiterbildung von Hausärzten, damit sie Gewalt erkennen. Die Vorschläge wurden vor etwa einem Jahr an das Bundesjustizministerium in Berlin weitergeleitet.