Im katholischen Spanien gibt es viele verkaufsoffene Sonntage

Von der Kirche in den Konsumtempel

Die barocke Dorfkirche im Madrider Vorort Vallecas ist längst viel zu groß. Die wenigen Gläubigen verlieren sich zur katholischen Sonntagsmesse ein wenig in ihr. Immer noch sind mehr als 80 Prozent der 45 Millionen Spanier katholisch getauft, aber voll werden die Kirchen trotzdem auch hier nur an Weihnachten. Statt dessen pilgern nun die Heerscharen zu den Konsumtempeln an den Rändern der Städte.

 (DR)

Ein liberales Ladenschlussgesetz und billige Arbeitskräfte machen es möglich. Die Einkaufsparks öffnen im besonders liberalen Madrid an 20 Sonntagen im Jahr, künftig sollen es sogar 22 sein. Bis zu den Heiligen Drei Königen am 6. Januar, traditionell der Tag der Bescherung in Spanien, sind sie durchgehend geöffnet. "Freiheit der Konsumenten", nennt das Ismael Serrano vom Verband der großen Supermärkte. Die Leute müssten sich entscheiden können, ob sie ihre Einkäufe in der Woche, samstags oder sonntags tätigen. Die regionalen Behörden in Madrid argumentieren, der verkaufsoffene Sonntag schaffe Arbeitsplätze und Wachstum.

Im großen Einkaufspark "Madrid Sur" in Vallecas setzen die Eltern ihre Kinder in Einkaufswagen und schieben sie durch Textilläden und Optikergeschäfte. Dann geht es zum Einkauf für den ganzen Monat in einen "Hypermarkt", wie die enormen Verkaufsflächen im Gegensatz zu den kleineren Supermärkten heißen.

In einem dieser Läden arbeitet Raquel Blanco seit 13 Jahren. Der Sonntag sei fürchterlich, sagt sie. Die meisten Kunden kämen erst ab 13 Uhr. Dennoch beginne ihr Arbeitstag bereits um neun. Laut Tarifvertrag muss sie 14 der 20 verkaufsoffenen Sonntage arbeiten, nur einen Tag in der Woche hat sie frei. Damit verdienst sie 830 Euro im Monat. Ohne Partner könnte sie sich höchstens ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft leisten.

Der sonntägliche Gang ins Einkaufszentrum als Freizeitbeschäftigung
"Mir fallen tausend Sachen ein, die ich lieber machen würde", sagt die 33-Jährige: "Ins Kino oder in einen Park gehen, mit Freunden einen Wein trinken." Für viele Leute sei der sonntägliche Gang ins Einkaufszentrum eine Freizeitbeschäftigung. Auch Salvador Santos, Vorsitzender der Madrider Handelskammer, ist gegen den verkaufsoffenen Sonntag. Nur die großen Märkte könnten es sich die Sonntagsöffnung leisten. "Wenn sie dort aber am Sonntag schon ein paar Schuhe gekauft haben, kaufen sie kein zweites mehr unter der Woche im Fachgeschäft", sagt er und fügt hinzu: "Der verkaufsoffene Sonntag vernichtet hochwertige Arbeitsplätze."

Für die katholische Kirche ist die Ladenöffnung am Sonntag kein Thema. Der Gottesbesuch hat sich schon seit langem verringert. Eine andere Institution, das Treffen mit der ganzen Familie und Freunden zum Aperitif vor dem Essen, ist hingegen weiterhin beliebt. In Vallecas steht die schöne große Kirche am Ende eines langen Boulevards. Dort reiht sich eine Kneipe an die nächste und an Sonntagen bleibt keine leer.

Von Hans-Günter Kellner (epd)