Können wir uns auf moralische Überzeugungen verlassen?

Filmtipp: "Die Bestie in uns"

Wärter misshandeln mehr oder weniger bekleidete Gefangene mit einer Tüte über dem Kopf.

 (DR)

Die Bilder aus dem Gefängsnis in Abu Ghraib und von einem 1970 durchgeführten Experiments an der Stanford Universität in Kalifornien gleichen sich auf erschreckende Weise.  Was bringt Menschen dazu, andere Menschen so grausam zu quälen und zu erniedrigen? Dieser Frage ist der Film "The Human Behaviour Experiment" nachgegangen. Eine deutsche Fassung wird am Mittwoch im WDR ausgestrahlt. Der amerikanische Dokumentarist Alex Gibney ist für seinem Film "The Human Behaviour Experiment" mehrfach ausgezeichnet worden. Tilman Wolff hat den Film jetzt für den WDR bearbeitet. Unter dem Titel "Die Bestie in uns - Wissenschaftler erforschen menschliche Abgründe" läuft der Bericht am Mittwoch um 21.00 Uhr im WDR Fernsehen.

Milgram-Experiment
Im Mittelpunkt stehen zwei bekannte sozialpsychologische Experimente, bei denen es darum ging, festzustellen, wie sich Menschen verhalten, wenn sie Macht über andere Menschen bekommen. Das berühmte Milgram-Experiment wurde 1962 erstmals von dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram durchgeführt. Versuchspersonen bekamen die Aufgabe, ihre Schüler für Fehlverhalten mit Elektroschocks zu bestrafen. Die Schüler waren Schauspieler, die Stromschläge nicht echt. Dies war den "Lehrern" jedoch nicht bekannt. Sie agierten mit erschreckender, grausamer Konsequenz.

Über 60 Prozent der Versuchsteilnehmer waren sogar bereit, tödliche Stromschläge auszuteilen, wenn der Versuchsleiter die Verantwortung übernahm. Das Milgram-Experiment löste eine breite Diskussion darüber aus, wieviel Böses in jedem Menschen steckt und unter welchen Umständen Menschen bereit sind, gnadenlos zu foltern und zu töten.

Sogar die Forscher verloren die Kontrolle
Erschütternd sind auch die Bilder vom Stanford-Prison-Experiment, das 1971 unter Leitung des Psychologen Philip Zimbardo durchgeführt wurde.

In einer vierzehntätigen Simulation sollten die Verhaltensweisen von Wärtern und Gefangenen untersucht werden. Im Keller der Universität war ein Gefängnis errichtet worden, echte Polizisten verhafteten die Häftlinge. Doch in nur wenigen Tagen entgleiste die Situation derart, dass sogar die Forscher die Kontrolle verloren. Erst der Besuch von Christina Maslach, der Freundin und späteren Ehefrau Zimbardos, stoppte das grausame Experiment.

Aufnahmerituale in US-Studentenverbindung
Alex Gibney greift aber auch aktuelle Geschehen auf. So wird die Geschichte des Studenten Matthew Carrington geschildert, der im Februar 2005 von Freunden aus der Studentenverbindung bei einem der üblichen rohen Aufnahmerituale zu Tode gequält wurde. Sie übergossen ihn mit eiskaltem Wasser und zwangen ihn, solange Wasser zu trinken, bis er zusammenbrach und starb. Keiner der Beteiligten half ihm.

Seine Peiniger hatten sich nie zuvor etwas zu Schulden kommen lassen und galten als sehr religiös. Diese Grausamkeit ist ebenso unfassbar wie das Vorgehen von drei Insassen der Jugendstrafvollzugsanstalt Siegburg, die einen Mithäftling umbrachten. "Mit der Schilderung dieses Falles ergänzen wir der Film von Alex Gibney", berichtet Tilman Wolff.

Fast jeder kann zum Massenmörder werden
Der WDR hat die amerikanische Dokumentation auch um ein Gespräch mit dem deutschen Sozialpsychologen Harald Welzer ergänzt. Er forscht über Massenmorde und Vernichtungspolitik im dritten Reich. Welzer sieht drei Mechanismen, die einen normalen Menschen zum Täter werden lassen: Die Delegation der Verantwortung, die Entscheidung, einem Befehl nicht zu widersprechen und die subjektive Distanzierung von der Tat.

Niemand solle sich auf seine moralischen Überzeugungen verlassen, stellt Welzer in seinem Buch "Täter - wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden", fest. Zu schnell seien Menschen bereit, sich die moralischen Muster von Vorgesetzten anzueignen und die eigenen Werte zu vergessen. Nur wer als Kind bereits große Autonomie und psychische Stärke erworben habe, könne sich dem Sog widersetzen.