Familientragödie in Darry - Weihbischof Jaschke im domradio-Interview

"Die Kinder sind von Gott nicht verlassen!"

Eine erneute Tragödie erschüttert Deutschland: In einem Einfamilienhaus in Darry in Schleswig-Holstein hat die Polizei am Mittwoch die Leichen von fünf Kindern gefunden. Die Jungen im Alter von drei bis neun Jahren sind Opfer einer Gewalttat geworden, wie die Polizei in Kiel am Abend mitteilte. Der Tat dringend verdächtig ist die 31-jährige Mutter der Kinder. Der Orts-Weihbischof von Hamburg, Dr. Hans-Jochen Jaschke, findet Trost im Glauben: "Die Vollendung im Himmel ist den Kindern ganz, ganz gewiss".

 (DR)

Jaschke warnte im domradio vor einer pharisäischen Haltung der Gesellschaft. Zur Schöpfung gehöre auch, dass Menschen frei sein können, sogar so frei, um das Schlimmste zu tun. Jaschke: "Es wird immer solche Schrecklichkeiten geben." Es sei verständlich, dass jetzt nach den Schuldigen gesucht werde. Die Behörden träfe seines Erachtens dabei aber keine Schuld. Das Jugendamt sei bereits informiert und aktiv gewesen, "von einem brutalen Versagen" wolle er da nicht sprechen. "Wir leben nicht in einer Welt, in der sich alles kalkulieren lässt."

Vielmehr müsse unsere Gesellschaft solche Schrecklichkeiten vermeiden lernen: durch ein soziales Miteinander, ein waches Auge füreinander und durch eine insgesamt kinderfreundliche Gesellschaft.

Ermittlungen fortgesetzt
Die fünf bei der Familientragödie im schleswig-holsteinischen Darry tot aufgefundenen Kinder sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft gewaltsam ums Leben gekommen. Die Jungen im Alter zwischen drei und neun Jahren wurden laut vorläufigem Obduktionsergebnis erstickt, sagte Oberstaatsanwalt Uwe Wick am Donnerstag. Die dringend tatverdächtige Mutter befindet sich unterdessen weiter in der Psychiatrie. Derzeit könne nicht ausgeschlossen werden, dass den Kindern zuvor Schlafmittel verabreicht wurden, sagte Wick weiter. Toxikologische Untersuchungen stünden noch aus.

Am Tatort in dem 630-Einwohner-Dorf war die Spurensicherung am Donnerstagvormittag erneut im Einsatz. Das Haus ist weiterhin abgeriegelt. Die 31-jährige Mutter sollte noch am Donnerstag dem zuständigen Haftrichter im Amtsgericht Plön vorgeführt werden.

Die Frau ist den Ermittlern zufolge nach wie vor nicht vernehmungsfähig. Oberstaatsanwalt Wick sagte, "wir werden einen sogenannten Unterbringungsbefehl gegen die Beschuldigte beantragen". Man wolle erwirken, die Mutter vorläufig in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt unterzubringen.

Der Unterbringungsbefehl entspreche einem Haftbefehl, wenn die Tatverdächtige schuldunfähig oder vermindert schuldfähig sei, ergänzte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. In diesem Falle gehe es um einen "dringenden Tatverdacht gegen eine Schuldunfähige". Die einstweilige Unterbringung in der Psychiatrie sei nötig im Sinne der öffentlichen Sicherheit, um deren Gefährdung auszuschließen.

Unterdessen ging die Obduktion der Leichen der fünf Kinder in der Kieler Gerichtsmedizin weiter. Das endgültige Ergebnis der Untersuchung wollte die Polizei auf einer Pressekonferenz am Nachmittag (16.00 Uhr) in Plön mitteilten.

In der Grundschule Darry fiel am Donnerstag der Unterricht aus. Vier Seelsorger betreuten die Schüler, die mit dem Tod der Kinder zwei Klassenkameraden verloren hatten. Eines der Opfer war in die erste, ein anderes in die dritte Klasse gegangen. Ein weiterer Seelsorger war zudem im Kindergarten tätig.

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) forderte unterdessen erneut verbindliche Vorsorgeuntersuchungen. So könnten gefährdete Familien herausgefiltert und weiter begleitet werden. Solche tragischen Fälle passierten nicht aus heiterem Himmel. "Wir müssen prüfen, ob es Warnsignale gegeben hat, wo Schwachstellen waren und ob Informationen verloren gegangen sind", so die Ministerin.

Das Jugendamt hatte am Mittwoch das Haus aufgesucht, nachdem die Kinder nicht in der Schule erschienen waren. "Die Mutter hat sich einem Arzt in der Psychiatrie gestellt und dort darauf hingewiesen, dass sie ihre fünf Kinder durch Verabreichung von Schlafmitteln getötet habe", sagte Wick. Die Polizei fand daraufhin die Leichen in dem Einfamilienhaus.

Kinderschutzbund-Präsident fordert mehr Zivilcourage
Nach dem Tod von fünf Kindern in Schleswig-Holstein hat der Deutsche Kinderschutzbund mehr Zivilcourage gefordert. Wenn Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert seien, seien nicht nur staatliche Stellen gefragt, sagte Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers am Donnerstag im WDR. Auch Nachbarn sollten respektvoll ihre Hilfe anbieten. "Wenn diese brüsk ausgeschlagen wird und man sich Sorgen macht, ist es richtig, sich an das Jugendamt oder andere Stellen zu wenden."
Das sollte aber offen und "mit Namen und Gesicht" geschehen, betonte Hilgers. Zivilcourage habe nichts mit anonymer Denunziation zu tun.

Der Fall in Schleswig-Holstein, bei dem die Mutter psychisch krank sein soll, ist nach Einschätzung des Kinderschützers vermutlich nicht typisch für Familien mit psychosozialen Problemen. Die Zahl überforderter Eltern nehme aber nach seiner Beobachtung zu, offenbar gebe es auch mehr Gewalttaten gegen Kinder.

Der Dormagener Bürgermeister verwies in diesem Zusammenhang auf die "Nummer gegen Kummer", unter der sowohl Eltern als auch Kinder und Jugendliche telefonisch Rat und Hilfe erhalten. Die Berater des Wuppertaler Vereins "Nummer gegen Kummer", der Mitglied im Deutschen Kinderschutzbund ist, sind unter den kostenlosen Rufnummern 0800-1110333 (Kinder- und Jugendtelefon) und 0800-1110550 (Elterntelefon) zu erreichen.